Nächtliche Bekenntnisse

Es ist halb fünf Uhr morgens. Ich liege in meinem Bett, bin müde und kann doch nicht einschlafen.

Viele fragen mich immer wieder, wie ich so offen und freimütig auf meinem Blog über Dinge schreiben kann die mich bewegen. Dinge die man eigentlich tief in sich vergraben hat und nur mit den engsten Freunden bespricht. Dinge die einen beschäftigen, die einen bewegen, über die man Nächte lang grübelt… Aber eigentlich gibt es darauf eine ganz einfache Antwort: Die Teile die man schriftlich von sich preisgibt, sind auf irgendeine Weise nicht wirklich echt. Weil sie nicht ausgesprochen wurden, weil man den Gesichtsausdruck des Anderen dabei nicht sieht, weil man dabei nicht rot werden muss, während man die Worte aufschreibt und weil man auch keine Angst vor der Reaktion des Gegenübers haben muss, denn diese wird man in der unverblühmten, unbeobachteten Form des Lesemoments niemals sehen.

Das macht die Bekenntnisse hier nicht weniger wahr, aber es macht es leicht, sie preiszugeben.

Ich habe lange nichts mehr aus mir heraus geschrieben und schon viel länger habe ich keine Wahrheiten mehr hier verbreitet. Ich wusste irgendwann werde ich wieder das Bedürfnis haben, etwas von mir preiszugeben, aber bevor das Schreiben nicht von alleine kommen wollte, habe ich mich auch nicht dazu gezwungen. Nun bin ich an dem Punkt angekommen, an dem sich die Gedanken immer wieder im selben Kreis bewegen und sich wiederholen und wiederholen… Vielleicht habe ich nun auch das Gefühl, mir Meinungen von aussen dazu anhören zu können. Mich der unausgesprochenen Reaktionen und den vielleicht oder hoffentlich kommenden Kommentaren zu stellen.

In den letzten Wochen ist viel passiert. Mein Leben hat sich von Grund auf verändert auf eine Weise, die ich nicht vorhersehen konnte. Niemand konnte mir sagen wie es ohne mein Studium weitergehen würde, ausser der festgelegten Grundrisse wie mein Job oder meines Wohnortes. Aber wie ich mich dabei fühlen würde, wie ich damit umgehen würde das alles hinter mir zu lassen, dass wusste niemand. Am wenigsten  ich selbst.

Nach ein paar Tagen und Wochen bin ich wie aus einem langen Schlaf aufgewacht. Ich glaube nicht, dass irgendjemand soetwas nachvollziehen kann, wie das was ich gerade erlebt habe. Weder meine ehemaligen Kommilitonen/-innen die noch immer in dieser Blase gehalten werdeb, noch meine Freunde der “alten Welt”. Ich habe mir selbst dabei zusehen können, wie ich aus etwas aufgewacht bin, bei dem mir gar nicht bewusst war wie tief ich darin versunken und verstrickt war. Ich habe im letzten Jahr meine Umwelt nur noch durch eine Art Nebel wahrgenommen. Ich habe zugesehen, wie alle ihr Leben gelebt haben, wie sie geheiratet haben, wie sie Kinder bekommen haben, wie sie krank waren, wie sie Beziehungen geführt und wieder beendet haben. Ich habe daran teilgenommen, aber nichts davon hat mich wirklich tief bewegt, zumindets nicht so intensiv wie früher. Das klingt sehr traurig und fühlt sich noch viel trauriger an. Als ich meinen Entschluss gefällt habe, das Studium nicht weiter zu führen, war ein großer Punkt dieser Entscheidung, nicht mehr so viel in meinem Leben verpassen zu wollen. Und dabei war mir gar nicht wirklich klar, wieviel ich schon verpasst hatte was sich nie wieder nachholen lässt.

Das und das Bewusstsein für das eigene Selbst wurde mir in diesen letzten 15 Monaten vollkommen genommen. Ich habe weder bewusst in den Spiegel geschaut, noch habe ich wirklich gesehen wer oder wie ich geworden bin. Alles was ich getan, erlebt oder unternommen habe, war immer überlagert von den nächsten Prüfungen, dem nächsten Lernstoff, den nächsten Kursen… Ich habe fast nie Alkohol getrunken (was nicht unbedingt ein Manko sein muss), aus Sorge, dass ich dann vielleicht am nächsten Tag nicht fit genug sein könnte zum Lernen. Ich habe wenn möglich nicht bei Anderen übernachtet, sei es nach Einweihungspartys meiner besten Freundinnen oder anderen Feierlichkeiten, aus Sorge dadurch am nächsten Tag mit der Heimreise zuviel Zeit beim Lernen zu verlieren. Ich habe Verabredungen abgesagt, die mir eigentlich wichtig und wertvoll erschienen, um abends noch einen Zusatzkurs besuchen zu können oder doch noch zwei Stunden länger zu lernen. Ich habe mir keine Romane mehr gekauft, um nicht Gefahr zu laufen mit ihnen zu viel Zeit zu verschwenden. Ich habe schlichtweg alles was mir wichtig war nur noch in Sparversionen genossen, nur um dann die wenige Zeit, die ich trotzdem erübrigt habe, mit einem schlechten Gewissen oder dem Druck zu verbringen, nicht genug getan zu haben. Oder mit dem Druck, den Moment jetzt auch unbedingt genießen zu müssen, denn diese wenigen waren ja nun etwas sehr Wertvolles geworden. All das macht mich traurig, aber da ich es trotzallem nicht schaffe, meine Entscheidung oder auch nur einen einzigen Tag der 15 Monaten als Studentin zu bereuen, schaue ich nur selten zurück und habe nur selten Momente wie diesen, in denen mir die ganze Tragweite des letzten Jahres bewusst wird. Welches Leben ich in dieser Zeit geführt habe, welche Entscheidungen ich getroffen habe. Es war als hätte ich mich selbst freiwillig und bewusst in eine Art Trance versetzt, in der es möglich war, dass alles zu durchleben ohne durchzudrehen. Das Erschreckendste ist, dass ich mich nach einer ganzen Weile so sehr an diesen Zustand gewöhnt hatte, dass ich fast den Moment verpasst hätte, an dem mir bewusst wurde, dass ich so gar nicht leben möchte.

Nun stecke ich in einer neuen Zwickmühle. Ich liege hier und kann nicht schlafen, weil ich mit dem neuen “Erwachen” der letzten Wochen gar nicht zurecht komme und immer wieder in der letzten Zeit verzweifelt versuche meinen Kopf an einen Punkt des Erkennens zu bringen. Dummerweise ist der nicht bereit dazu mir Lösungen und fertige Produkte zu liefern, also dreht sich alles im Kreis.

Meine neue alte Welt besteht aus reichlich Zeit und noch mehr Freiheit. Und undankbar wie ich bin, weiß ich mit all dem nicht genug anzufangen. Statt dankbar zu sein, die Möglichkeit zu haben, zwischen allen Möglichkeiten der Welt wählen zu können, erdrückt mich diese Vielfalt mehr und mehr. Und der Gedanke einfach abzuwarten, was die Zeit bringt und vor allem wohin sie mich bringt, macht mich schier wahnsinnig. Ich hätte nie gedacht, dass einen zuviel Freiheit so kirre machen kann. So lerne ich also wieder einmal, dass mein Kopf und mein Geist auf Grenzen und Zäune angewiesen sind. Das mein Leben einen roten Faden und einen festen Fixpunkt in der Zukunft braucht und das Reisen, Träume erfüllen und finanzielle Sicherheit nicht ausreichen um dem Ganzen einen festen Rahmen zu geben. Die Frage nach dem mehr wiederholt sich andauernd in meinem Kopf und beschämt mich gleichzeitig meiner Gier und meiner Maßlosigkeit.

Aber was tut ein Mensch, wenn er an einem Punkt angekommen ist, an dem er erreicht hat was er wollte, wenn er seine Träume ausprobiert hat, wenn er den Teil des Schicksals den er beeinflussen kann ausgeschöpft hat und dabei ist, die restlichen Träume zu erfüllen. Was bleibt dann noch? Welche Aufgabe gibt man sich selbst, wenn einem “das Leben genießen” nicht ausreicht?

Ich mag mich selbst nicht leiden für die Undankbarkeit die nun aus mir herausquillt. Aus meinem Kopf in Form von fiesen, mürrischen Gedanken. Jeden Tag um mich herum, auf der Arbeit und auf der Welt kann ich Menschen sehen, die ihr Glück nicht zu schätzen wissen, andere die ihr Unglück nicht verdient haben und die ihr Schicksal auf das eine oder andere bezogen nicht beeinflussen konnten und ich sitze da und philosophiere über mein Leben, grübele Nächte durch und kann meinen Kopf von beidem nicht abhalten, weil er definitiv zuviel Zeit dafür hat.

Manchmal hoffe ich, dass ich einfach im Laufe der nächsten Zeit mit Arbeiten und Freundschaften auffrischen so beschäftigt sein werde, dass mein Kopf zu abgelenkt ist und ich am Grübeln gehindert werde, aber ich kenne mich zu gut um mich dieser Illusion einfach hinzugeben. Ich weiß in mir arbeitet es und der Schritt aus dem Studium hinaus war nur ein Teil der Veränderung. Nun wartet noch ein zweiter Schritt und mir ist noch nicht klar, in welche Richtung er gehen wird. Aber ich warte seit Wochen  jeden Tag darauf, dass meine Füße sich in Bewegung setzen und ich wieder ein klares Ziel vor Augen habe. Ich weiß genau, irgendwann, hoffentlich ganz bald, werde ich aufwachen und wissen was zu tun ist. Was ich mit meinem Leben nun anfangen will und wie ich es ausser mit Arbeit und meinen Freunden füllen möchte.

Irgendwann… hoffentlich ganz bald…

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