Selbst dem altehrwürdigen ARD-„Tatort“ war das Thema „Satanistischer Ritalmissbrauch“ einen Beitrag wert.
Die Folge „Abschaum“ bot dem Sonntagabend-Zuschauer „reichlich harten Stoff und sorgte prompt für eine massive Zuschauerresonanz“, vermeldete tags darauf Spiegel-Online. Rund 600 Beiträge seien auf einem speziellen Internet-Forum von Radio Bremen eingegangen. Am Ende des Films werden zwei als Ritualopfer vorgesehene Kinder gerettet und ein geistig zerrütteter Ex-Elitesoldat tötet 14 Satanisten. „Das Massaker am Schluss der Tatort-Folge hat prominente Kritik ausgelöst“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. „Dagegen fand die Darstellung der Themen Satanismus und Kindesmissbrauch große Zustimmung bei den Zuschauern.”
Nicht verwunderlich, sorgen doch Horror-Schlagzeilen wie „Satans-Sekten opfern jährlich 10 000 Kinder” (Bild) oder „Schock-Report: Tötet Satans-Sekte Babys und Kinder?“ (tz München) immer wieder für Empörung.
In krassem Gegensatz zu solchen Sensationsberichten steht jedoch die Faktenlage. „Es gibt keine polizeilich gesicherten Erkenntnisse darüber, dass es zu rituellen Missbrauchshandlungen im Satanismus kommt“, vermeldet beispielsweise das Essener Sekten-Info. Auch die Aktion für Geistige und Psychische Freiheit (AGPF) schreibt:
“Ritualverbrechen (rituelle Gewalt, ritueller Missbrauch) als organisierte satanische Schwerstkriminalität ist nicht nachweisbar.”
Solche Einwände werden indes stets mit dem immer gleichen Argumentationsmuster zurückgewiesen:
- Polizeiliche Ermittlungen, die regelmäßig ins Leere laufen? Eine Vielzahl von hochrangigen Mitverschwörern sitzt an einflussreichen Schaltstellen und ist daher in der Lage, entsprechende Straftaten dauerhaft zu vertuschen!
- Schilderungen von unglaublicher Monstrosität, die etwa Kannibalismus und Kindstötungen einschließen? Gerade die Unglaublichkeit dieser Verbrechen ist ihr bester Schutz! Weil sie die geschilderten Taten einfach nicht glauben können, geben auch Ermittlungsbehörden zu schnell auf, wenn Satanisten-Opfer Anzeige erstatten!
- Wieso gelingt der ursächliche Nachweis der traumatischen Erfahrungen von Kultopfern im Einzelfall nur schwer oder gar nicht? Weil Satanisten über ein perfektes System von Programmierungs- und Mind-Control-Techniken verfügen!
- Warum hat noch kein einziges Mitglied der weltumspannenden satanistischen Geheimbünde öffentlich ausgepackt? Wegen der strengen Arkandisziplin!
Unter anderem dieser eigentümlichen Kausalkette an Argumenten, mit denen versucht werde, “Bedenkenträger von der Richtigkeit der Gefahrendeutung zu überzeugen und die Tatsächlichkeit der Tatsachen möglichst widerspruchsfrei darzulegen”, widmet sich Ina Schmied-Knittel, Soziologin am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg, in einem Buch zur Thematik.
Fraglos eine äußerst schwierige und undankbare Aufgabe – denn über wenige Phänomene „wird selbst unter Weltanschauungsbeauftragten so heftig und kontrovers diskutiert wie über die Faktizität des rituellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in satanistischen Zirkeln und Sekten“, merkte der Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in einer Rezension der Veröffentlichung an:
“Wer möchte sich schon dem Verdacht aussetzen, ungewollt Mitglied eines Schweigebündnisses zu sein, sich von Kriminellen instrumentalisieren zu lassen und schwerste Straftaten zu verharmlosen oder gar zu leugnen?”
Das Fatale an dieser Situation ist, dass eine “realitätsangemessene Verhandlung des Gegenstandes in Deutschland kaum noch möglich” erscheint, erklärt Schmied-Knittel. “Leidtragende könnten nicht zuletzt echte Missbrauchsopfer sein, deren Schilderungen man künftig möglicherweise mit größerer Skepsis begegnen wird.”
Angelegen ist der Autorin daher eine Versachlichung des Themas – ausgehend von der Beobachtung, dass
„in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit bis heute ein primär gefahrenfokussierter Diskurs dominiert, der unter weitgehender Ausblendung wissenschaftlicher Debatten (fast) alle kritischen Einwände überstimmt.”
Diesen zahlreichen kritischen Einwänden gibt Schmied-Knittel mit ihrer “wissenssoziologischen Diskursanalyse” eine Stimme. Eine ausführliche Rezension ihres Buches folgt im Skeptiker 1/2010, der kommende Woche erscheint.
Zum Weiterlesen:
- Ina Schmied-Knittel (2008): Satanismus und ritueller Missbrauch. Eine wissenssoziologische Diskursanalyse. Ergon-Verlag, Würzburg.