Überstundenmillionäre

Montag Morgen.
Unausgeschlafen wie immer stolpere ich ins Dienstzimmer und schmettere mein “Guten Morgen!” in den Raum. Kalle sitzt an seinem Schreibtisch über ein Schriftstück gebeugt und grummelt mir etwas Unverständliches entgegen.
Ich hole mir nebenan im Schwesternzimmer einen Kaffee, komme zurück und schaue meinem Kollegen über die Schulter.
“Was machst’n Du da?”
Kalle schaut auf.
“Überstundenzettel! Hast Du Deinen schon fertig?”
Natürlich nicht! Siedend heiß fällt mir ein, dass schon wieder ein Monat zu Ende gegangen ist. An jedem Ersten müssen wir die Überstunden des letzten Monats dokumentieren.
“Wie viele hast du denn?”
Kalle rechnet eine Weile.
“Zusammengenommen inzwischen fast hundertsechzig. Und Du?”
Ich nehme einen Vordruckbogen aus der Schublade, dazu die Kopie des Dokuments vom vorigen Monat und den Zettel, auf dem ich die Überstunden des laufenden Monats notiert habe.
“Nicht ganz so viele. Trotzdem genug. Gibt’s Neuigkeiten?”
Jeder von uns schleppt einen Berg von Überstunden mit sich herum und in jedem Monat wird dieser Berg größer.
Überstunden werden in Freizeit abgegolten, so steht es in unseren Arbeitsverträgen. Aber wann sollen wir das tun? Wenn es nach der Verwaltung geht, natürlich am liebsten gar nicht.
Letztens hat der Chef uns daher gefragt, ob wir einverstanden wären, wenn er sich dafür einsetzt, dass die Überstunden aus dem letzten Jahr ausbezahlt werden sollen. Viel Geld wird dabei zwar nicht herumkommen, aber immerhin besser als leere Versprechungen von Freizeitausgleich am Sankt-Nimmerleinstag.
Kalle hat seine Berechnungen beendet, nimmt das Papier und steht auf.
“Komm, wir müssen los!”
Ich nehme meinen eigenen Stundenzettel und den weißen Kittel, hänge das Stethoskop um den Hals und folge Kalle zur Frühbesprechung.
Der Chef nimmt unsere Zettel, die wir ihm verschämt und mit schlechtem Gewissen zustecken wortlos entgegen.
Gewissenhaft wird er sie mit Stempel und Unterschrift an die Verwaltung weiterreichen und dort werden die Schriftstücke dann erst einmal in irgendeinem Parallelluniversum verschwinden.
Ob wir in den nächsten Jahrzehnten wohl irgendeine Antwort bekommen?
Eher nicht. Trotzdem werden wir brav an jedem ersten ein neues Blatt Papier produzieren.

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