Auf ein Bier mit Kalle

“Verdammt kalt geworden!” sagt Kalle und starrt aus dem Fenster. Da tanzen ein paar Schneeflocken.
Dann prostet er mir zu und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas.
“Mindestens fünf Grad Minus letzte Nacht!” gebe ich zurück.
Das haben sie im Wetterbericht gesagt. Nicht, dass es mich interessieren würde. Aber Kalle ist heute irgendwie komisch drauf. Seit zwei Stunden schweigen wir uns an und glotzen auf die Straße hinaus. Alle paar Minuten macht einer von uns eine halbherzige Smalltalkbemerkung worauf der andere einsilbig antwortet. Der andere ist meistens Kalle und Einsilbigkeit kennt man von ihm eigentlich gar nicht.
Aber jetzt, nach der dritten Runde ist es mir endlich zu bunt.
Ich setze mich gerade hin und schaue ihm direkt in die Augen.
“Was ist los mit Dir?”
Kalle weicht aus.
“Was soll mit mir los sein?”
“Tu doch nicht so scheinheilig!”
“Wer ist hier scheinheilig?”
“Mensch, letztens hast Du etwas von geheimnisvollen Neuigkeiten angedeutet…”
“Ach so!”
“Was ach so?”
“Gar nicht geheimnisvoll!”
“Dann kannst Du’s ja sagen!”
“Ich soll Hintergrunddienste machen.”
“Was?”
“Hintergrunddienste. Du, Sarah, Martin und die anderen machen Vordergrunddienste. Ihr müsst als erste raus, wenn es irgendwo brennt…”
“Hörmal, ich weiß wie der Dienstplan funktioniert!”
“…der Chef, Oberarzt und ich machen Hintergrund. Wir dürfen zu Hause im eigenen Bettchen schlafen und kommen erst dann rein, wenn Ihr uns anruft!”
“Das heißt, Du wirst Oberarzt? Das ist ja toll! Gratuliere! Darauf trinken wir doch gleich noch einen!”
“Eben nicht. Genau das ist ja der Haken an der Sache!”
“Warum?”
“Mehr Geld gibts natürlich nicht. Sagt die Personalabteilung. Dafür soll ich aber jede dritte Nacht an der langen Leine hängen und trotzdem für Euch den Babysitter spielen…”
“Ich bitte Dich!”
“Oberarzt light sozusagen. Funktionsoberarzt. Überstundenzeitausgleich fällt weg, weil ich die Dienste ja von zu Hause aus mache. Dafür gibt’s dann ein paar Euro fuffzich als Pauschale.”
“Also doch mehr Geld?”
“Was nützt mir das Geld, wenn ich keine Zeit habe, es auszugeben? Und abgesehen davon: ich hab’s schon durchgerechnet. Netto bleibt kaum was hängen. Also faktisch mehr Arbeit fürs selbe Geld.”
“Aber für Deine Karriere…”
Kalle seufzt und schüttelt den Kopf.
“Ach, scheiss doch auf Karriere! Wenn hier jemand Karriere macht…”
Plötzlich grinst er, und dann strahlt er übers ganze Gesicht.
“Wenn hier jemand Karriere macht, dann bist Du das. Du bist jetzt unser Fortbildungsbeauftragter, hab ich gehört?”
Ich nehme einen tiefen Schluck und merke, wie ich rot werde.

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