Das Gießkannenprinzip

Ich weiß nicht, ob es nur bei uns so ist, aber ich beobachte eine zunehmende Inflation in der Zahl der angemeldeten Untersuchungen pro Patient. Vor allem die Menge an unsinnigen und nicht indizierten Untersuchungen nimmt zu. Es werden zum Teil Untersuchungen angefordert, die mit den aufgeführten Differentialdiagnosen, die schon in sich nicht stimmig sind, weder ausgeschlossen noch bestätigt werden können. Man hat den Eindruck, dass bei Aufnahme des Patienten völlig gedankenlos und ritualisiert ein Katalog an zehn (oder gerne mehr) Untersuchungen angemeldet wird – und zwar völlig unabhängig vom Aufnahmegrund. In einer anderen Abteilung unseres Hauses habe ich sogar einen „Aufnahmestempel“ entdeckt, dort müssen die Ärzte die Untersuchungen gar nicht mehr umständlich in der Patientenkurve anordnen, steht ja alles auf dem Stempel… Mitdenken ist offensichtlich nicht mehr nötig oder erwünscht.

Liegt es an den vielen unerfahrenen Kollegen und damit am Facharztmangel oder –vorsichtig formuliert – am Mangel qualifizierter Bewerber? Am DRG-System? An Zeitmangel? Faulheit? Angst vor Fehlern und Juristen? Dummheit? Ich weiß es nicht.

Nach dem Motto „wer suchet, der findet“ kommt man mit dem Gießkannenprinzip natürlich im Zweifel genauso auf die Diagnose (es gibt immer wieder schlaue Konsiliarärzte, die einem die Diagnose auf dem Silbertablett präsentieren), wie der gute Kliniker, der schon aufgrund der Anamnese und der klinischen Untersuchung wusste, was Sache ist und wenige gut durchdachte und zielführende Untersuchungen angemeldet hat. Dummerweise sieht ein Arztbrief mit einer mindestens dreiseitigen Auflistung der durchgeführten Untersuchungen einfach besser aus als ein kurzer, aus nur zwei Untersuchungen bestehender. Auch die Patienten sind zufriedener, wenn sie den Eindruck haben „es wurde ja was gemacht“. So kommt es, dass gerne auch beim Ober- und Chefarzt oft der Kollege den besseren Eindruck hinterlässt, der den Patienten – sagen wir – gut beschäftigt hat und nach vierzehn Tagen Krankenhausaufenthalt und zig Untersuchungen bei der Entlassung die Aufnahmediagnose einer hypertensiven Krise bestätigt…

Das Leben ist eben nicht immer fair.

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