Das MVZ: Die Achse des Bösen?

Kalle lacht.
“Also, ich glaube, ich muss Dir die Sache einmal ganz von vorne erzählen.”
“Ich bin ganz Ohr.”
Kalle nimmt einen Schluck Bier.
“Also. Hier in Bad Dingenskirchen gibt es auf der einen Seite das Krankenhaus und auf der anderen Seite eine handvoll Arztpraxen. Das Krankenhaus ist für die stationäre Versorgung zuständig und die Niedergelassenen für die ambulante Versorgung. Das ist die eiserne Regel. Solange sich beide Seiten daran halten, herrsch Friede.”
“Aber unsere Ambulanz…”
“Natürlich gibt es Ausnahmen von der Regel. Es gibt Patienten, die mit Halsweh, Husten, Schnupfen oder Heiserkeit in unserer Ambulanz aufkreuzen und die auch bei uns behandelt werden. Und auf der anderen Seite holen wir ab und zu einen der niedergelassenen Kollegen zu einem Konsil für unsere Stationären Patienten. Keine Regel ohne Ausnahme. Aber grundsätzlich gibt es in unserem Land eine strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung.”
“Und warum muss das so sein?”
“Das war schon immer so, ich glaube seit Kaiser Wilhelm’s Zeiten. Natürlich kann man sich fragen, wie sinnvoll das ist. Und genau das haben die Herren Unternehmensberater getan. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass das Krankenhaus sein Leistungsangebot erweitern soll. Wir sollen uns sozusagen aus dem Kuchen, der eigentlich den Niedergelassenen Kollegen zusteht ein Stück abschneiden. Und das funktioniert so, dass das Krankenhaus eine Art Arztpraxis gründet, und zwar eine Mega-Praxis mit mehreren Fachrichtungen.”
“Und das geht?”
“Mehrere niedergelassene Kollegen sind frustriert. Sie möchten aufhören. Aber sie finden keinen Nachfolger. Das Krankenhaus verhandelt mit denen. Man will ihnen die Praxen abkaufen und dann den Laden hierher verlegen.”
“Und was ist der Vorteil?”
“Die Versorgung aus einer Hand. Ich als Internist kann meine Patienten einerseits stationär im Krankenhaus behandeln und dann, wenn sie entlassen sind, ambulant weiterbetreuen..”
“Und was ist der Haken an der Sache?”
“Nunja… glaub mal nicht, dass die verbleibenden Niedergelassenen davon begeistert sind.”
Ich denke nach.
“Sag mal, warum übernimmst Du denn nicht eine Praxis?”
Kalle hätte sich fast verschluckt und schüttelt wild den Kopf.
“Bin ich denn völlig bescheuert? Ich müsste Schulden aufnehmen. Ich müsste Personal einstellen und Geräte kaufen. Weisst Du, unsere Arbeitszeiten sind lang und die Dienste nicht immer angenehm – aber immerhin hast Du ab und zu Feierabend. Als Selbständiger bist Du hingegen immer auf Draht: Du bist für alles selbst verantwortlich und und ständig im Dienst.”
Er trinkt sein Bier aus.
“Schau sie Dir doch an, die Kollegen! Alle sind sie frustriert und abgearbeitet. Und spätestens mit Mitte Fünfzig kriegen sie ihren ersten Herzinfarkt.”

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