Karl Lagerfeld hat nichts verstanden

…und DIE WELT honoriert es.
Das Thema Depression, noch vor Wochen in aller Munde und in der Öffentlichkeit scheinbar auf einem neuen Weg, versinkt zurück in die Normalität. DFB-Chef Zwanziger redet sich um Kopf und Kragen und vorverurteilt, was das Zeug hält. Dass damit unbescholtene Menschen, welcher sexuellen Couleur auch immer, in den Tod getrieben werden könnten, hat er wenige Monate nach seinen salbungsvollen Worten am Sarg von Robert Enke vergessen. Die Pionierarbeit, die Frau Enke zu diesem Thema geleistet hat, war schneller versandet als Hannover 96 wieder Punkte sammeln konnte.
Zum Tode Alexander McQueens
Karl Lagerfeld hat in seiner Stellungnahme zum Selbstmord des britischen Modedesigners Alexander McQueen eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie die normale Gedankenwelt funktioniert, nämlich holzschnittartig, ratlos und wenig lernfähig, wenn es um das Thema psychische Erkrankung geht.
Selbstmord als Zeichen für Egoismus
Lagerfeld findet es egoistisch, wenn man sich mit einem Selbstmord überstürzt verabschiedet, vor allem wenn man eine Firma hat und es so viele Leute gibt, die von einem abhängig sind. Gemeint ist McQueens scheinbar überstürzter Freitod, ohne dass er das Leben danach hundertprozentig geregelt hätte, wie es der deutsche Modezar von sich selbst verlangen würde. Fehlt nur noch, dass Lagerfeld von seinem englischen Modekollegen verlangt hätte, dass der sich mal zusammenreißen sollte, schließlich kann es jedem einmal schlecht gehen. Nichts begriffen hat der Mann von der Qual einer Depression, vom Chaos in der Gedankenwelt eines Depressiven, von Aussichtslosigkeit und Unerklärbarkeit des eigenen Zustandes.
Wahl zwischen Pest und Cholera
David Foster Wallace, einer der überragenden Literaten der Neuzeit, hat einmal sinngemäß gesagt, dass ein Selbstmord nichts ist, wonach ein Depressionskranker sich sehnt. Selbstmord sei lediglich die bessere Alternative in der Wahl, weiterleben zu müssen oder der Qual des Lebens ein Ende zu setzen. Einem Depressiven, der den Freitod wählt, ginge es wie den Büroangestellten in den brennenden Zwillingstürmen. Aus dem 80. Stockwerk zu springen, ist kein Spaß, aber besser als, ohne etwas zu unternehmen, bei lebendigem Leib zu verbrennen. So eine Wahl können wir Nichtkranken uns nicht einmal annähernd vorstellen, aber Wallace wusste wovon er redet. Er hat überragende Romane und Kurzgeschichten geschrieben, war ein Genie, was die Schriftstellerei und die Mathematik betraf und ist 2008 im Alter von 46 Jahren gestorben. Nach mehreren Versuchen hatte er es geschafft, sich selbst zu töten. Er war als Autor gefeiert, hatte eine nette Familie und hatte Freunde. Sich zu erhängen, blieb trotzdem die bessere von zwei schlechten Möglichkeiten.
Die Pointe
Für das Tüpfelchen auf dem i in der Karl-Lagerfeld-Geschichte sorgt die Tageszeitung DIE WELT. Journalist Rainer Haubrich verteilt jede Woche in seiner Rubrik Kopfnoten Zensuren an öffentliche Personen, für das, was sie getan oder nicht getan haben. Karl Lagerfeld bekam für seine Weisheiten im Zusammenhang mit Kollege McQueens Selbstmord die Note: 2. Begründung sinngemäß: Herr Lagerfeld sei als Deutscher eben mehr der nüchterne Realist.

Standen nicht auch in DIE WELT große Betroffenheitsartikel als es um den Torwart von Hannover 96 ging? Fragt sich, welcher Nationalität Robert Enke war.

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