Wenn die Bewerbung um die Traumstelle erfolglos war, ist der Grund in den meisten Fällen nur schwer zu finden. War der Lebenslauf doch nicht optimal? Das Foto ein wenig unvorteilhaft? Oder lag es am Ende an der Handschrift?
Immerhin 2,7 Prozent der deutschen Unternehmen greifen bei der Personalauswahl auf die graphologische Schriftdeutung zurück, so jedenfalls eine Schätzung von 2007. Das bedeutet: Sie versuchen, aus der Handschrift auf Charakter und Fähigkeiten des Bewerbers zu schließen. Intelligenz, Temperament, Begabungen – die ganze Persönlichkeit soll sich durch Größe, Form und Anordnung der Buchstaben auf dem Papier verraten. Auf Belege für diese gewagte Ansage warten Skeptiker bis heute vergebens.
Die Graphologie ist nur eine von mehreren unseriösen Formen der Psychodiagnostik, die Uwe Kanning in seinem neuen Buch kritisch betrachtet. ”Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen” hat der Osnabrücker Psychologieprofessor den Band genannt. Neben der Graphologie und der an dieser Stelle regelmäßig erwähnten Astrologie stieß Kanning bei seinen Recherchen auf diese Seltsamkeiten – die teils in der Personalauswahl eingesetzt werden:
- Physiognomik: Optimisten wähnten sie bereits in der Mottenkiste der historischen Irrlehren. Aber die Methode zum systematischen Rückschluss von körperlichen Merkmalen auf den Charakter erlebt derzeit geradezu einen Aufschwung.
- Weit weniger verbreitet ist die Namenspsychologie von Angelika Hoefler. Demnach lassen die Buchstaben des Vor- und Zunamens Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu. Aber nicht etwa, weil wir Namen mit Assoziationen verbinden – und dabei schon mal in die Vorurteils-Falle tappen, wie kürzlich die Kevin-Studie bei Grundschullehrern zeigte. Nein, nein: im Hoefler-Kosmos wählt eine “geistige Welt” für jede ungeborene Seele Eltern mit dem passenden Nachnamen aus. Der passende Vorname des neuen Erdenbürgers wird den Eltern von der geistigen Welt eingegeben.
- Wissenschaftliche Ursprünge, aber mangelnde Fundierung und jede Menge Interpretationsspielraum bescheinigt Kanning einer weiteren Methode, der Farbdeutung.
- Außerdem zeigt er, wie sich selbst ein seriöses Forschungsgebiet wie Körpersprache so weit verzerren lässt, dass nur mehr Pseudowissenschaft übrig bleibt.
Mehr über seine “Reise durch die bizarre Traumwelt der pseudowissenschaftlichen Diagnostik” berichtet Kanning in einem Vortrag auf der diesjährigen GWUP-Konferenz, zu der die freundlichen Skeptiker vom 13.-15. Mai 2010 in Essen einladen.
Zum Weiterlesen:
- Uwe Kanning (2010): Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen. Unseriöse Methoden der Psychodiagnostik. Pabst Science Publishers, Lengerich u. a.
- Rouven Schäfer (2009): Die Graphologie in der Personalauswahl – eine kritische Analyse. Skeptiker 1/2009, S. 36-39.