Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) wendet sich mit einem dringenden Appell an Gesetzgeber, Krankenkassen und Hausärzte, alle Maßnahmen zur weiteren Umsetzung der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) nach § 73b Sozialgesetzbuch (SGB) V sofort einzustellen. Die bisherigen Erfahrungen sind, dass
- der Schutz des Sozial- und des Patientengeheimnisses bei den eingeschalteten privaten Anbietern nicht gewährleistet werden kann,
- die Krankenkassen bei Durchführung dieser Maßnahmen mehr Daten als gesetzlich erlaubt erfassen,
- systembedingt eine Diskriminierung von nicht rentablen Patientinnen und Patienten möglich ist und
- durch die kassenbezogene Sonderabrechnung eine massive Gefährdung der Datensicherheit bei den IT-Systemen der ambulanten Ärzte erfolgt.
Das praktizierte Verfahren der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) ist nach Ansicht des ULD verfassungswidrig und verletzt die grundrechtlich gesicherte informationelle und medizinische Selbstbestimmung der gesetzlich Krankenversicherten. Es schafft einen großen, unkontrollierten und teuren bürokratischen Apparat bei der Informationsverarbeitung und der Abrechnung zusätzlich zu dem bisherigen System der Kassenärztlichen Vereinigungen. Das Ergebnis ist nicht nur eine Verletzung des Datenschutzes und des Patientengeheimnisses, sondern auch, dass die Behandlungsfreiheit der Ärzte unkontrolliert eingeschränkt wird. Positive medizinische Effekte der Versorgung sind, so das ULD, bisher nicht nachgewiesen. Bei erhöhter Kostenbelastung für die Krankenkassen wird die Wirtschaftlichkeitskontrolle eingeschränkt.
Das ULD wandte sich daher vor einigen Tagen an die Gesundheitsminister des Landes Schleswig-Holstein sowie des Bundes mit der Aufforderung, die bisher geltende Interimslösung bei der HzV nicht zu verlängern. Der Hausärzteschaft und den Patientinnen und Patienten empfiehlt das ULD, die Möglichkeit der Teilnahme an diesem Versorgungssystem nicht in Anspruch zu nehmen. Die Initiative des ULD hat mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Telekommunikation (TK) vom 02.03.2010 weitere Nahrung erhalten, wo vom höchsten deutschen Gericht klargestellt wird, dass die für die TK-Verkehrsdaten geregelten Datensicherungsvorkehrungen, hinter denen die der HzV weit zurückbleiben, ungenügend sind.
Thilo Weichert, Leiter des ULD: “Die Realität der hausarztzentrierten Versorgung ist diametral das Gegenteil dessen, was angestrebt wurde: Die Versorgungsqualität wird tendenziell verschlechtert bei zusätzlichen Kosten und einer massiven Gefährdung des Datenschutzes. Der angestrebte höhere Wettbewerb führt nicht zu einer Effektivierung, sondern zu einem informationellen Chaos. Das Mindeste wäre, dass bei den Hausarztverträgen die Abwicklung der Datenverarbeitung in den Händen der Kassenärztlichen Vereinigungen und somit unter dem Schutz des Sozialgeheimnisses verbleibt. Aus Datenschutzsicht ist es überfällig, dass der Gesetzgeber den Wildwuchs bei der Datenverarbeitung im Bereich des SGB V völlig neu und übersichtlich regelt. Es ist für mich unerklärlich, dass kaum jemand die hausarztzentrierte Versorgung will, dass aber die damit verbundenen Datenschutzverstöße auf dem Rücken der Krankenkassenmitglieder munter fortgeführt werden.”
Einen Hintergrundtext mit rechtlichen und technischen Erläuterungen zu den Ausführungen in dieser Presseerklärung finden Sie hier.
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