Der Herr Richter schaut mich mit strengen Augen an.
Hinter mir sitzen zwei uniformierte Polizisten und neben mir mein Anwalt, der gerade irgendwas in mein Ohr tuschelt.
“Angeklagter, können Sie den Tathergang nochmal beschreiben?”
“Ähem, ja.
Also das war so.
Der Patient, ein fünfundfünfzigjähriger Herr namens Hein Schnapsbichler, war sturzbesoffen…. ähem, Entschuldigung, ich meine natürlich stark alkoholisiert und hat lautstark randaliert… ähem, ich meine natürlich hat sich mit Händen und Füßen gegen jede Behandlung gewehrt und das Personal beschimpft und all solche Sachen, wissen Sie, Herr Richter. Und dann war er halt verschwunden…”
“Soso, verschwunden also!” sagt der Staatsanwalt und lächelt böse.
“Ja, richtig, Herr Staatsanwalt, er ist abgehauen… ich meine, er hat das Krankenhaus verlassen…”
“Und Sie haben ihn nicht daran gehindert? Trotz der extrem winterlichen Witterungsverhältnisse? Schneefall und Minusgrade? Ihnen war bewußt, dass der Patient nicht in der Lage war…”
“Wir haben ja die Polizei gerufen!”
“Sie können die Verantwortung nicht an die Polizei abgeben. Es war Ihr Patient und Sie allein waren verantwortlich…”
“Ja, also ein Krankenpfleger ist ihm ja sogar noch nachgerannt. Aber der Patieht hat ihm eine gelangt, ich meine hat ihn tätlich angegriffen…”
Und die Polizei hat Herrn Schnapsbichler erst morgens um sechs gefunden. Steif und sozusagen tiefgefroren wie eine Schweinehälfte.
“Herr Richter, ich fordere zehn Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen Toschlag und unterlassener Hilfeleistung!”
Schweißgebadet wache ich auf.
Warum habe ich auch gestern Abend diese blöde Gerichtsshow im Fernsehn gesehen?
Von Herrn Schnapsbichler habe ich nichtsmehr gehört, keine Ahnung, ob er noch lebt. Immerhin ist der Schnee draußen inzwischen längst weggetaut.
Und wenn ihm doch etwas passiert wäre?
Stehen wir wirklich alle mit einem Bein im Knast?