Nun ist er also bei uns angekommen, jener Patient mit der Einweisungsdiagnose “AZ-Verschlechterung”.
Es handelt sich um einen netten, älteren Herrn. Mitte neunzig, dement, aber unkompliziert. Die Liste seiner internistischen Vordiagnosen ist genauso lang wie die Liste seiner Medikamente.
Was tun wir also mit ihm?
Wir sprechen ihn an, und entlocken ihm vielleicht ein paar Antwortlaute, die man aber in den seltensten Fällen als Anamnese gelten lassen kann.
Wir drücken ihm den Bauch, horchen auf Herz und Lunge, pieksen ein wenig in ihm herum, nehmen Blut ab, legen einen venösen Zugang, röntgen und ultraschallen ihn und ein EKG machen wir natürlich auch.
Dann nehmen wir ihn auf und verfrachten ihn aus der Notaufnahme auf eine unserer internistischen Stationen. Da kriegt er dann ein paar Infusionen und vielleicht auch das eine oder andere Medikament. Und wir sind nach Möglichkeit nett zu ihm.
Nach ein paar Tagen geht es ihm dann vielleicht etwas besser oder auch nicht, so genau kann man das ja nicht wissen weil er sich ja kaum selbst äußern kann. Aber seine Laborwerte sehen besser aus. Vielleicht hat das eine oder andere Medikament geholfen oder die Infusionen
Also können wir ihn eigentlich nach Hause entlassen.
Aber Halt: Keine Entlassung ohne Entlassbrief!
Und der Entlassbrief verlangt nicht nur nach einer Diagnose (hier haben wir es einfacher als der einweisende Hausarzt, wir können einfach die ellenlange Liste der internistischen Vordiagnosen übernehmen), sondern auch nach der Therapie.
Was also schreiben, wenn wir quasi nichts getan haben?
Im angloamerikanischen Sprachraum gibt es dazu den Begriff “Tender Loving Care”, was man frei übersetzen könnte mit “wir waren halt nett zu ihm”. Dieser Terminus – vor allem in abgekürzer Form als “TLC” wird inzwischen sogar offiziell in der Fachliteratur verwendet.
Nun spricht ein deutscher Arzt nicht Englisch sondern Latein. Und wenn wir mit einem Patienten etwas anstellen, dann sind wir nicht nett, sondern wir tun was. Wir bauen ihn halt wieder ein wenig auf. Oder tun zumindest so.
Und das nennen wir dann “Allgemeine Roborierung”. Das klingt halt ein wenig besser als: “Wir haben so’n bisschen was getan… halt Infusionen gegeben und das eine oder andere Medikament”. Aber die Aussage ist dieselbe.