Marianne Leuzinger-Bohleber, Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt, hat ein beeindruckendes Buch über die psychische Entwicklung des Kindes geschrieben. Das Buch “Frühe Kindheit als Schicksal” macht deutlich, wie komplex die kindliche Entwicklung verläuft und wie unsagbar wichtig die enge Beziehung zu den Eltern und anderen Bezugspersonen ist. Leuzinger-Bohleber beschreibt, wie Kinder Gefühle lernen und woran die Entwicklung vieler Kinder scheitert. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Screenshot Kohlhammer-Verlag)
Vorbeugung ist möglich
Dieses Buch zeigt aber auch, dass psychische Störungen wie z. B. das Aufmerksamkeitsdefizit-Hpyeraktivitätssyndrom (ADHS) nicht unbedingt nur ein genetisches Schicksal sind. Viel zu häufig wird von einfachen Stoffwechselstörungen ausgegangen, ohne die Situation des Kindes weiter zu hinterfragen. Dabei verdeutlicht dieses Buch anhand von Therapieverläufen, dass hinter der Diagnose ADHS oft problematische Familienverhältnisse stehen. Das Fallbeispiel von Max zeigt, wie eine psychoanalytische Therapie bei ADHS gelingen kann (S. 171-172; 4.1: Frankfurter Präventionsstudie zur Verhinderung psychosozialer Integrationsstörungen (insbesondere von ADHS im Kindergartenalter) – Frühprävention als Stärkung der Resilienz gefährdeter Kinder. 4.1.1: Kinder ohne Kindheit: Einführende Bemerkungen zu Anliegen und Intentionen der Frankfurter Präventionsstudie).
Erzählen statt Messen
Dass die Möglichkeiten der Psychoanalyse relativ selten zur Sprache kommen, liegt unter anderem daran, dass die Wissenschaft auch in Bezug auf die Psychotherapie alles “messen” will. Vieles lässt sich bei psychischen Vorgängen jedoch nicht messen, sondern eher erzählen, so die Autorin. Wer dieses Buch liest, wird verstehen, was sie damit meint. Durch Einsichten und emotionale Erfahrungen verändern sich die Kinder in der Therapie. Vieles lässt sich jedoch kaum messen, sondern eben nur beschreiben.
Wünschenswert: eine einfacherere Sprache
Marianne Leuzinger-Bohleber gibt in ihrem Buch viele Antworten auf Fragen, die häufig gestellt werden – beispielsweise erklärt sie, wie Aggressionen bei Jugendlichen entstehen und auf welchen Ebenen Kinder und Familien erreicht werden können, um destruktivem Verhalten, Hyperaktivität oder Depressionen vorzubeugen. Dabei ist die Sprache recht kompliziert, so dass sich dieses Buch wohl eher an hochspezialisierte Fachleute richtet. Ein Beispielsatz:
“Fonagy und seine Mitarbeiter definieren Mentalisierung in der Folge einer philosophischen Tradition, die von Brentano (1973/1874), Dennett (1978) und anderen begründet und als eine Form vorbewusster imaginativer mentaler Aktivität verstanden wurde, in deren Rahmen menschliches Handeln in Begriffen von ‘intentionalen’ Geisteszuständen gedeutet wird.” (S. 113)
Solch ein Satz kann sogar für Experten schwierig sein. Wünschenswert wäre es, dasselbe Buch noch einmal in einer Sprache herauszubringen, die von jedem verstanden wird. So könnten auch Erzieher, Lehrer und Eltern von dem breiten und höchst interessanten Wissen profitieren, das in diesem Buch steckt.
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