Wer krank ist, braucht eine Diagnose. Das ist halt so und gehört zu den Eigentümlichkeiten des deutschen Gesundheitswesens. In anderen Ländern mag das anders sein, aber hier bei uns gilt: Ohne Diagnose keine Behandlung und vor allem: Ohne Diagnose keine Abrechnung. Vor allem um Letzteres geht es natürlich in Wirklichkeit.
Nun ist es aber oft so, dass wir gar nicht so genau wissen, was unserem Patienten eigentlich fehlt.
Es mag paradox klingen aber: in vielen Fällen ist das auch gar nicht notwendig.
Wir untersuchen den Patienten, schließen gefährliche Erkrankungen aus und lindern gleichzeitig die Beschwerden, so gut wir können. Und letzteres klappt oft ganz gut ohne dass wir genau wissen, wo die Beschwerden eigentlich herkommen.
Wenn der Patient uns fragt, könnten wir sagen: “Wir wissen nicht, was mit Ihnen los war, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass es nichts ernstes war!”
Wenn wir das sagen würden, würden wir aber keine gute Figur machen.
Zumindest glauben das die meisten von uns. Und deshalb umschreiben wir unser Nichtwissen mit vielen Worten. Die lateinische und die altgriechische Sprache ist uns dabei wieder sehr hilfreich.
Wie bastelt man sich also eine wohlklingende Nicht-Diagnose zurecht?
Ganz einfach: Zunächst einmal nehme man den Namen des betreffenden Organs oder der Körperregion und übersetze sie je nach Geschmack ins Lateinische oder Griechische.
Diesen verfeinern wir mit ein paar netten Zusätzen: “-itis” zum Beispiel für ein akut entzündliches Geschehen oder “-ose” für eine chronische Geschichte oder “-dynie” oder “-algien”, wenn es um Schmerzen geht.
Aus Magenschmerzen werden auf diese Weise “Gastralgien” und ein Zwicken in der Achillessehne wird zur “Achillodynie”.
Jetzt fügen wir noch ein hübsches Adjektiv hinzu: “funktionell” zum Beispiel oder “kryptogen” oder “idiopathisch”. Klingt toll und bedeutet alles in etwa das Gleiche, nämlich “aus unbekannter Ursache”.
Und, ehrlich gesagt: “Sie haben eine kryptogene Gastralgie” klingt doch besser als: “Ich weiß auch nicht, woher Ihre Bauchschmerzen kommen”. Oder?