Helfen auf Haiti und anderswo (als Arzt)

Letztens bekam ich die Anfrage eines Lesers, welcher sich dafür interessiert, auf Haiti medizinische Aufbauhilfe zu leisten.
Ähnliche Mails bekomme ich immer wieder mal und möchte daher in dieser Form darauf antworten, auch wenn ich vielleicht nicht unbedingt der Top-Experte zu dem Thema bin.

Also, liebe Leser!
Ihr wollt auf Haiti helfen.
Ihr habt eine abgeschlossene Ausbildung als Arzt/Ärztin, Krankenschwester/pfleger oder in einem anderen Gebiet?
Toll! Eure Absicht ist lobenswert.
Schön.
So, und jetzt stellt Euch zunächst einmal im abgeschlossenen Zimmer vor den Spiegel und fragt Euch: Was wollt Ihr wirklich?
Helfen und etwas sinnvolles tun? – Okay.
Tolle Erfahrungen machen? – Hmmm. Auch gut, aber passt auf, dass Ihr Eure Erfahrungen nicht auf Kosten anderer macht, und vor allem nicht auf Kosten der Hilfsbedürftigen Menschen in Haiti und anderswo. Aber davon später.
Ein bisschen Nervenkitzel haben? – Deswegen braucht man sich doch nicht schämen! Nervenkitzel ist doch nichts Schlimmes. Aber: besser nicht nach Haiti fahren, okay? Lieber Bungeejumpen, Freeclimben oder sonstwas tun, da bringst Du nur Dich selber in Gefahr und nicht Andere (abgesehen von Deinen Rettern, aber darauf will ich hier jetzt nicht eingehen).
Oder willst Du einfach nur cool sein und später oder in der Kneipe oder in der Kantine vor den Kollegen souverän einen Satz fallen lassen: “Haiti? Ja… da war ich auch dabei….” – nee, glaub mir, wenn das so ist, dann lass es lieber sein! Mach andere Sachen, die auch cool sind: einen zynischen Blog schreiben zum Beispiel oder coole Musik machen oder sowas.
So, das war die erste Frage, die Du Dir stellen solltest. Die zweite ist etwas komplizierter. Sie lautet nämlich: Was kann ich geben?
Ja richtig, Du willst ja etwas geben: Deine Zeit, Deine Arbeitskraft oder Dein Geld. Oder von jedem etwas, ja richtig, auch von Deinem Geld. Denn Gutes tun und dabei noch Geld zu verdienen, das ist schon eine sehr komplizierte Sache. Es geht, aber es ist nicht einfach.
Der ideale Kandidat für den Job hat mehre Jahre ärztliche Berufserfahrung in den Fächern Chirurgie, Geburtshilfe und Innere mit Schwerpunkt Infektionskrankheiten (ideal natürlich Tropenmedizin) und dann vielleicht auch noch ein wenig Anästhesie (einschließlich Notfallmedizin). Er kann selbständig kleinere Operationen durchführen (Appendix, Kaiserschnitt, Hernie, Versorgung von Frakturen), kann improvisieren, ist zupackend, entscheidungsfreudig, selbständig… und hat möglicherweise schon einmal als Student / Famulant / PJler das eine oder andere Entwicklungsland kennengelernt. Außerdem spricht er mehrere Fremdsprachen (nicht nur englisch!)… und ist jung, optimistisch und ungebunden.
Okay, okay, das ist das Ideal.
Auch jemand, der nicht alle diese Punkte zu hundert Prozent erfüllt hat Chancen.
Aber einiges davon sollte man schon haben, insbesondere ein paar Jahre Berufserfahrung.
Und eines solltet Ihr wissen: Auch in Entwicklungsländern gibt es kluge Köpfe. Die haben zwar vielleicht kein komplettes Medizinstudium absolviert, können aber durchaus viele Routinearbeiten sehr souverän erledigen und und verfügen oft über erstaunliches Fachwissen (auch dort gibt es Bücher und Internet!). Wenn Ihr als Ärzte dorthin kommt, dann erwarten die von Euch, dass Ihr die komplizierten Fälle übernehmt.
Und noch etwas: Warum gerade Haiti? Es gibt viele andere Orte (in Entwicklungsländern und anderswo), an denen Ärzte gebraucht werden. Wenn Ihr noch keine Erfahrung in Entwicklungszusammenarbeit oder Katastrophenhilfe habt, wäre wahrscheinlich ein Ort besser, an dem es eine halbwegs funktionierende Infrastruktur und ein ein “Setting” gibt, in das man sich als Fremder gut und schnell einarbeiten kann. Katastrophenhilfe in Orten wie Haiti sollte man gut ausgerüseten und eingespielten Expertenteams überlassen, die wirklich wissen was sie tun.
Also, an wen kann man sich wenden?
“Ärzte ohne Grenzen” suchen ständig Leute, Anforderungsprofil siehe oben, die Einsätze dauern mehrere Monate bis zu einem oder zwei Jahren. Man bekommt ein Gehalt, mit dem man während der Zeit über die Runden kommen kann, aber keine großen Sprünge machen kann.
Es gibt auch Organisationen für Ärzte, die nur wenig Zeit zur Verfügung haben, hier sind aber vor allem Spezialisten (z.B. Chirurgen) gefragt. Außerdem ist es üblich, dass die besuchenden Ärzte den Großteil ihrer Kosten selbst tragen. Einige dieser Organisationen sind nicht ganz unumstritten.
Der Deutsche Entwicklungsdienst und die kirchlichen Organisationen suchen eher Leute für langfristige Zusammenarbeit (Zwei Jahre und länger). Auch hier gilt: Man wird bezahlt, aber nicht üppig.

Ich freue mich über Ergänzungen und weitere Kommentare zu dem Thema

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