Mai 2010
Wiederholungen
Patient Prack verließ das Sprechzimmer, zog die Tür hinter sich zu und Hausarzt Dr. Kunze schüttelte den Kopf. Manchmal war es seltsam, wie so ein Praxisalltag verlief. Da hatte er monatelang nichts mit Nierensteinen zu tun, und nun wurde er an diesem Tag schon zum zweiten Mal mit diesem Krankheitsbild konfrontiert. Dabei war der Vormittag erst zur Hälfte vorbei.
Tags zuvor war es ihm mit zwei Fällen von Gelbsucht so ergangen. Seit Jahren hatte er es nicht mehr erlebt, dass Patienten mit gelbem Augenweiß bei ihm in der Praxis erschienen waren, und dann geschah es gleich zweimal an nur einem Tag. Nun könnte man meinen, es handelte sich um ansteckende Gelbsucht im Falle einer Hepatitis, aber davon konnte keine Rede sein. Bei dem ersten Patienten staute sich der gelbgrüne Verdauungssaft wegen es Steines im Gallengang, bei dem zweiten wegen eines Krebsgeschwürs in der Bauchspeicheldrüse. Letzteres bedurfte zwar noch der Bestätigung durch genauere Untersuchungen, aber Dr. Kunze war sich sicher.
In der Woche zuvor war es die Multiple Sklerose gewesen. Zwar wurde die chronische Entzündung des Hirngewebes inzwischen nicht mehr selten diagnostiziert, aber gleich vier Patienten an einem normalen Donnerstag mit dieser speziellen Krankheit – das war wirklich zu viel und sonderbar obendrein. Aber es gab etliche solcher Beispiele. So kamen Fälle von Sterbebegleitung beinahe ausschließlich als Doublette vor. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt einen einzelnen Patienten während seiner letzten Wochen oder Tage begleitet hatte. Immer waren es gleichzeitig mindestens zwei Menschen gewesen, Gott sei Dank selten mehr. Herr Lehmann und Frau Behrends. Frau Grote und Frau Keller. Zu Herrn Prager kam Frau Krasowski und immer so weiter.
Dr. Anselm Kunzes psychische Kraft war bis an die Grenzen beansprucht worden, als es bei der jungen Frau Gehringer zu Ende ging, und wenig später beim kaum vierzigjährigen Gernot Schrader Krebs im Endstadium festgestellt wurde. Beide entschieden sich zuletzt gegen eine Krankenhaustherapie. Sie wollten ihre letzten Wochen im Kreise ihrer Familien verbringen. Das waren verständliche Wünsche und so fuhr Hausarzt Dr. Kunze eine zeitlang zwei- bis dreimal die Woche von den Schraders zu den Gehringers und umgekehrt, sah tapfere Sterbende, weinende Kinder und vollkommen aufgelöste Ehepartner. Dagegen war die Duplizität der Patienten mit Nierensteinen medizinischer Alltag, allerdings nicht für seine Patienten, denn die litten Höllenqualen.
Hausarzt Dr. Anselm Kunze erhob sich und ging in sein zweites Sprechzimmer. Da wartete Herr Müller. Müller-Breslau, wie er sich gern vorstellte, weil es so viele Müllers gab, und er in Breslau geboren war. Herr Müller konnte nicht mehr und seine Frau auch nicht…
———————————————-
Möchten Sie wissen, wie es mit Dr. med. Anselm Kunze weiter geht?
Hausarzt Dr. Kunze hört (nicht) auf – erscheint am 12. November 2010 als Taschenbuch im Verlag Leben&Schreiben zu einem Verkaufspreis von 12,- Euro.
Vorbestellen lohnt sich! Subskriptionspreis 10,- Euro
Wer bis zum 11. November 2010 einen 10-Euro-Schein an Leben&Schreiben, Am Rießel 12, 29549 Bad Bevensen einsendet, dem wird das Buch sofort nach Erscheinen kostenfrei zum Subskriptionspreis zugeschickt. Absender nicht vergessen!