Schwärzer konnte der gestrige Freitag kaum werden:
Für alle Deutschen:
Deutschland verlor gegen einen spanischen Schiedsrichter
Für Patienten und Ärzte
Die Ärzteschaft wurde gestern per Gesetz zwangsverpflichtet empfindliche Patientendaten online Preis zu geben – vor allem die FDP hat sich damit wieder einmal still und heimlich von einemWahlversprechen verabschiedet
Für mich persönlich, meine Patienten und viele andere Kollegen
Ich habe für das Quartal 3-2010 meine „Verdienstobergrenze“ für Kassenpatienten erhalten:
– ca. 10-15% weniger als im Vorjahr
– ein Neurologe verdient pro Fall plötzlich 35% weniger als ein Nervenarzt pro Fall, obwohl beide pro Quartal ähnlich viel Patienten mit ähnlichen Krankheiten versorgen
– Neurologen dürfen ab 01.07. keine Akupunkturen mehr für Kassenpatienten abrechnen (während andere Ärzte wie Hausärzte, Internisten, Orthopäden, Neurochirurgen, … dies weiter dürfen), obwohl ich diese seit mehr als 15 Jahren praktiziere, mehr als 600 Ausbildungsstunden hinter mir habe und regelmäßig einen Qualitätszirkel besuche und mitleite. Seit 5 Jahren besitze ich auch die entsprechende Zusatzbezeichnung. Vor 3 Jahren besuchte ich ein 80-stündiges Schmerztherapieseminar, welches damals zur weiteren Abrechnung der Akupunktur zur Auflage gemacht worden war.
Ein Ausflug in die crazy word des Gesundheitssystems
Anhand des Beispiels der extrem unterschiedlichen Honorierung der Leistungen von Neurologen und Nervenärzten möchte ich Euch mal erklären, wie verrückt dieses Gesundheitssystem durch unzählige Reformen geworden ist:
Neurologen versorgen ausschließlich die körperlichen Erkrankungen von Gehirn, Rückenmark und Muskeln, während Nervenärzte auch die Gemütskrankheiten (also psychiatrische Krankheiten) mitbehandeln.
In den letzten Jahren hat sich durch die Wissensexplosion in der Medizin herauskristallisiert, dass es schon schwer genug ist, allein in der Neurologie oder in der Psychiatrie auf dem neuesten Wissensstand zu bleiben. Es gibt deshalb kaum mehr junge Nervenärzte, sondern zunehmend reine Neurologen oder reine Psychiater. Medizinisch eigentlich auch sinnvoll.
Ein Patient mit einer speziellen seltenen neurologischen Erkrankung ist tendentiell sicherlich auch besser bei einem „reinen“ Neurologen, als bei einem Nervenarzt aufgehoben (würdest Du Dir die Hand lieber von einem Handchirurgen oder einem Allgemeinchirurgen operieren lassen?).
In den letzten Jahren wurden deshalb viele Praxen von Nervenärzten, die in Pension gingen, von reinen Neurologen übernommen. Die Zahl der Neurologen steigt, die der Nervenärzte sinkt.
Des einen Freud, des anderen Leid
Und jetzt kommt das Verrückte:
Die Honorierung der Ärzte erfolgt nach „Fachgruppentöpfen“. Das heisst die Krankenkassen zahlen pro Quartal und Facharztgruppe einen festen Betrag X an die Kassenärztliche Vereinigung. Und dieser Betrag X wird dann auf die Fachärzte dieser Gruppe, je nachdem wie viele Patienten sie (im Vorjahr!) behandelt haben verteilt.
Mit jedem Neurologen, der eine Nervenarztpraxis übernommen hat, sinkt also das „Honorar“ aller Neurologen in diesem Bundesland, während gleichzeitig das Honorar der Nervenärzte steigt. In Baden Württemberg bekommt ein Neurologe 3-2010 nur noch ca. 40€ pro Patient, der Nervenarzt für die Behandlung des gleichen Patienten aber 77€. Und unsere „Standesvertretung“ zieht das alles gnadenlos durch.
Perfektes „Divide et impera“
Und somit müsste für alle Leser auch klar sein, warum Ärzte nie gemeinsam eine Kampffront gegen diese verrückte Politik bilden werden. Denn was für mich gestern als Neurologen ein „black friday“ war, war für die nervenärztlichen Kollegen ein „lucky friday“, auch wenn einige doch ein schlechtes Gewissen haben. Denn wenn ein schwieriger neurologischer Fall in ihrer Praxis auftaucht, dann schicken sie gerne gleich zum Neurologen, der dann hohe Qualität zum Spottpreis erbringen darf. Erst gestern schickte mir ein Nervenarzt der Nachbarstadt eine aufwändige Schwindelpatienten mit dem Kommentar: „der Dr. Geldgier ist eine Koryphäe auf diese Gebiet“. Danke, Herr Kollege. Du die Kohle, ich die Arbeit.
(P.S.: dieser Artikel wurde zwischen 5:00 und 6:30 verfasst – warum wohl?)
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