Bloggeburtstag – eine traurige Bilanz

Happy Birthday
Heute vor exakt einem Jahr erblickte dieses kleine Arztblog das Licht der Welt, oder sollte ich eher das Dunkel der Welt sagen?

Tolle Zahlen – traurige Bilanz
Zeit, eine kleine Bilanz zu ziehen. Rein zahlenmäßig sieht das so aus:

– 226 Artikel
– 1579 Kommentare 
–  633 geblockte Spam-Kommentare
– über 61 000 Seitenaufrufe

Rein äußerlich kann sich das doch sehen lassen und eigentlich sollte ich darauf heute anstoßen. Aber wie sieht die reale Bilanz, also die Bilanz außerhalb der virtuellen Cyber-Welt hier aus?

Ich habe mir hier nicht nur den Frust von der Seele geschrieben, sondern auch versucht, medizinische Laien und Patienten in diesem Land einen Einblick in den Alltag und vor allem die berufspolitischen Irrungen und Wirrungen dieses Landes zu geben.
In der ersten Phase, als ich in meiner Naivität glaubte, alles hänge mit der bösen Gesundheitsministerin Ulla S. zusammen, habe ich auch oft unverblümt Werbung für einen Regierungswechsel gemacht und speziell die FDP als Hoffnungsträger dargestellt.

Naivität eines Politiklaien und Idealisten
Nach dem Regierungswechsel im Herbst kam fast Euphorie auf, denn die Erwartungen waren groß, dass nun eine echte Reform des kranken Gesundheitsystems zustande kommt. Ich habe mich aktiv in der Politik engagiert und schaffte es sogar einmal vom neuen Bundesgesundheitsminister empfangen zu werden (ja, das war meine geheime Reise Anfang des Jahres für alle Insider).

Nun, knapp neun Monate später ist diese Euphorie nicht nur einer Ernüchterung, sondern einer bitteren Enttäuschung gewichen. Dem Regierungswechsel folgte alles andere als ein Politikwechsel im Gesundheitswesen. Im Gegenteil: die von schwarz-rot gelegten Brandbomben wurden und werden nacheinander gezündet. Die schwarz-gelbe Koalition zerfleischt sich bis zur Regierungsunfähigkeit, das Volk sehnt sich wieder nach einer großen Koalition. Heute weiß ich: Gesundheitspolitik wird nicht von Politikern, sondern von finanzkräftigen Lobbyisten der Gesundheitskonzerne, der Pharma- und IT-Branche gemacht, die ihre Millionen als gezielte Geldspritzen einsetzen, um ihre ökonomischen Ziele zu erreichen. Die Politiker sind nur Marionetten, da ist es schon egal welche Farbe ihr Hemd hat.

Bitteres Geburtstagsgeschenk
Und zum Abschluss erhalte ich zwei Tage vor meinem Geburtstag mit diesem Blog die Hiobsbotschaft, dass die erneute Honorarreform meiner kleinen Fachgruppe der Neurologen einen desaströsen Honorarverlust bescheren wird, während sich die Situation der Nervenärzte gut stabilisiert.

Zum 01.01.2011 stehen dann weitere Honorarkürzungen ins Haus, weil ich in einer angeblich überversorgten Region arbeite. Ich bin der einzige Neurologe am Ort, die Wartezeiten auf einen Termin betragen mittlerweile zum Teil 4 Wochen. Im attraktiven Süden des Landkreises sitzen 5 Kollegen in einer unwesentlich größeren Stadt und dafür werde ich eben ab 01.01.2011 auch noch bestraft, eben wegen Überversorgung.

Zeitverschwendung
Ich habe hier im Blog und draußen in meiner Praxis und bei meinen berufspolitischen Aktivitäten hunderte von Stunden investiert, um auf katastrophale Entwicklungen, Ungerechtigkeiten und vor allem die Bedrohung unseres eigentlich guten Gesundheitsystems aufmerksam zu machen. Mein Ziel ist und war immer eine Verbesserung der Situation zum Wohle der Patienten und aller im Gesundheitswesen Tätigen.

Heute weiß ich, dass ich ein naiver, altruistischer, sozialromantischer Depp bin. Ich hätte jede dieser Stunden besser darin investiert, mich um mein ganz persönliches eigenes Wohl zu kümmern. Ich muss nun entgegen meiner Überzeugung sehen, dass ich vom Neurologen zum Nervenarzt umsattle. Ich habe in meiner 10-jährigen Klinikzeit auch diese Weiterbildung absolviert, die Prüfung aber nicht mehr gemacht, da ich keinen wirklichen Nervenarzt kenne, der neurologisch und psychiatrisch gleichermaßen gut ist. So wollte ich mich lieber auf die Neurologie konzentrieren und diese auf möglichst hohem Niveau betreiben, was mich nun unter Umständen Kopf und Kragen kosten wird (s. „Black Friday – Schockstarre“).

Ich hatte natürlich auch keine Lust mehr, mich mit Mitte vierzig nochmals wie ein kleiner Schulbub prüfen zu lassen. Man weiß ja, wie solche mündlichen Prüfungen ablaufen. Aber nun werde ich in den sauren Apfel beissen müssen und mich nach einem 12-Stunden-Tag noch hinsetzen und lernen, lernen, lernen… Solange meine Kinder noch schulpflichtig sind, werde ich die Staatsflucht leider nicht antreten können.

Ich werde dieses Blog hier deshalb zwangsweise rar machen, das wird jeder verstehen.

Auch heute bin ich wieder um 04:30 erwacht, nicht, weil ich mich auf diesen Geburtstag wie ein kleines Kind gefreut habe, sondern weil es sich nicht mehr gut schläft, wenn man sich auf der Abschussliste befindet. Vielleicht sollte ich mal zum Nervenarzt gehen…

 

 

Filed under: Dr. Geldgier und das Geld, Kranke Gesundheitspolitik, Politiksplitter Tagged: Arzt, Arzthonorar, Gesundheitspolitik, Gesundheitsreform

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