Die Feminisierung der Medizin

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Der Ärztemangel ist fester Bestandteil der deutschen Berichterstattung aller Medien über den demographischen Wandel. Inzwischen ist klar, dass es in Deutschland genügend Ärzte gibt. Diese sind jedoch geografisch unausgewogen verteilt. Ein Blick auf die Bundeshauptstadt zeigt, dass es dort sowohl über- als auch unterversorgte Bezirke gibt. Vorgesehen ist beispielsweise, dass ein Hausarzt 1.400 Einwohner versorgt. In den „sozial besser gestellten“ Bezirken wie Charlottenburg-Wilmersdorf liegt die Zahl laut der Berliner Morgenpost bei 1.059 Einwohnern pro Arzt, während ein Hausarzt in Lichtenberg im Schnitt 1.719 Einwohner betreuen muss.

Ein weiterer Grund für die Unterversorgung ist der medizinische Fortschritt selbst. Denn durch eine immer weiter fortschreitende Spezialisierung steigt auch der Bedarf an Ärzten.

Doch neben der Spezialisierung, der persönlichen geografischen Präferenz des Arztes und den altersbedingten Praxisschliessungen gibt es noch einen weiteren Grund für die medizinische Unterversorgung.

Vergleichsmäßig selten wird darauf hingewiesen, dass sich Ärzte nicht nur altersbedingt (auch ohne Nachfolger, die ihre Praxis übernehmen können) zur Ruhe setzen, sondern dass es daneben auch ein geschlechterspezifisches Problem gibt. Die so genannte Feminisierung der Medizin bedeutet, dass es zwar deutschlandweit genügend Ärzte gibt, dass etliche davon jedoch nicht so viel arbeiten können oder wollen, wie eigentlich von ihnen erwartet wird.

Schon 1872 schrieb Ludimar Hermann, Physiologieprofessor aus Zürich folgende Zeilen: „Es könnte das grenzenlose Unglück entstehen, welches die Universität vernichten würde, dass nämlich die Zahl der Medizinstudentinnen grösser würde als die der Studenten.“

In Deutschland ist dieser Fall eingetreten. Bereits 60 Prozent der etwa 80.000 Medizinstudenten sind weiblich.

Vor drei Jahren berichtete die Schweizer Weltwoche, dass „Die Feminisierung der Medizin […] unaufhaltsam [voranschreitet]. Das ist in der Schweiz so, in ganz Westeuropa und den USA. Die Frauen stürmen ein Territorium, das einst durch und durch männlich besetzt war.“

Praktizierende Ärztinnen sind immer weniger dazu bereit, für die Karriere auf Kinder zu verzichten. Es wird inzwischen auch im arbeitsintensiven und wenig planbaren medizinischen Bereich erwartet, dass Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die die Vereinbarkeit von Kind und Karriere ermöglichen. Ein Pensum von 60 bis 70 Stunden pro Woche, Nachtschichten, Überstunden oder Notfalldienste kommen für diese Frauen immer weniger in Frage. Besonders für alleinerziehende Mütter ist ein solcher Dienst ohne Hilfe nicht zu schaffen. Und auch Wiebke Rösler, die Frau des Bundesgesundheitsministers musste feststellen, dass ihre Weiterbildung zur Internistin ohne Hilfe der Familie und einer Tagesmutter unmöglich gewesen wäre.

Dabei hat die Feminisierung der Medizin sogar große Vorteile. Laut dem Deutschen Ärztinnenbund konnte in wissenschaftlichen Studien gezeigt werden, dass weibliche Ärzte ihre Patienten besser therapieren, da sie aufmerksamer, mitfühlender und fürsorglicher sind als ihre männlichen Kollegen. Darüber hinaus seien Frauen mit chronischer Herzschwäche bei einer Ärztin in besseren Händen. Nichtsdestotrotz werden Frauen in der Medizin in der ärztlichen Selbstverwaltung als Bedrohung empfunden.

Um also einem immer verheerenderen Mangel an Ärzten und Ärztinnen bzw. vielmehr einer ungleichmäßigen Verteilung der Mediziner vorzubeugen erscheint es notwendig, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die für Frauen nicht nur akzeptabel sind, sondern diese auch anziehen.

Der Ärztinnenbund fordert eine adäquate Neugestaltung des Berufsbildes. Er setzt sich besonders für eine Anpassung der Arbeitszeiten ein und fordert, dass Ärztinnen zunehmend in leitende Positionen kommen.

„Es muss verhindert werden, hoch qualifizierte Frauen, die zu Spezialistinnen und Fachärztinnen ausgebildet werden, durch die Gründung einer Familie für das Fach zu verlieren. Denn sie werden in den nächsten Jahren sowohl in Kliniken als auch in den Praxen Leitungspositionen und Spezialfunktionen übernehmen müssen. Von dieser Entwicklung profitieren vor allem die Patientinnen“, sagt auch Professor Dr. med. Rolf Kreienberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Das hat auch Gesundheitsminister Dr. Philipp Rösler erkannt. Im Bundesministerium für Gesundheit gibt es deshalb nun eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Feminisierung des Arztberufs beschäftigt. Vielleicht orientiert man sich ja an Schweden, dem europäischen Vorreiter in Sachen Familienfreundlichkeit. Dort sind Wochenarbeitszeiten von 40 Stunden für Ärzte längst normal, Überstunden werden mit Freizeit ausgeglichen und für Kinder ab einem Jahr ist eine gute, bezahlbare Kita-Betreuung garantiert.

Quellen und weitere Informationen:

Anker, Jens. (19. Juni 2010). Medizinische Versorgung: In welchen Berliner Bezirken Fachärzte fehlen In Berliner Morgenpost.

Elger, Katrin und Hackenbroch, Veronika. (20/2010). Medizin: Erst mal heulen. In Der Spiegel.

Deutscher Ärztinnenbund (11. Mai 2009). Die Zukunft der Medizin ist weiblich – Herausforderung und Chance für alle.

Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (11. Mai 2009 ). Jetzt sind die Frauen dran – Mehr Ärztinnen für die Frauengesundheit.

Lukisch, Barbara. (24. Oktober 2007). Medizin: Empfindliche Verweiblichung. In Die Weltwoche.

Doris Antony. Mumbai sign Ladies. In Wikimedia.

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