Es kribbelt, zieht, bohrt, juckt und brennt in den Beinen und ist einfach nur unangenehm. Fast jeder hat schon einmal die Erfahrung von „restless legs“, also unruhigen Beinen gemacht. Was aber, wenn die Symptome über Stunden anhalten und immer öfter auftreten? Was tun, wenn scheinbar kein Mittel hilft und die Beschwerden den nächtlichen Schlaf rauben? Treten die Symptome verstärkt nachts auf und lassen sie sich zumeist durch Bewegung und/oder geistige Ablenkung verbessern, sprechen Mediziner von einem sogenannten „Restless-Legs-Syndrom“(RLS). Doch was bedeutet die Erkrankung eigentlich für die Betroffenen?
Es sind genau die Momente, die für einen gesunden Menschen so wertvoll und erholsam sind: Ein Theaterbesuch, der Kinofilm mit Überlänge, ein Spieleabend mit Freunden oder der langersehnte Flug nach Übersee. Für Menschen mit RLS bedeuten solche Aktivitäten jedoch Stress und die Angst davor, die Unruhe in den Beinen nicht kontrollieren zu können. Oftmals ist Bewegung die einzige Möglichkeit, die Beschwerden zumindest kurzfristig zu lindern. Die Liste der Folgen ist lang: Depressionen, Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit und dadurch bedingt eine höhere Unfallquote sowie Arbeitsplatzverlust, sozialer Rückzug bis hin zu einer erhöhten Selbstmordrate. Oft steht den Betroffenen ein jahrelanger Leidensweg bevor.
„Stiefkind“ Restless-Legs-Syndrom
Über kaum eine andere „Volkskrankheit“ wird so selten berichtet wie über das „Restless-Legs-Syndrom“ (RLS). Dabei ist die Erkrankung keineswegs selten: Schätzungen zufolge leiden in Deutschland zwischen 5 bis 10% der Bevölkerung unter den typischen Symptomen – Dunkelziffer unbekannt. Alleine 1,5 Millionen Bundesbürger gelten als therapiebedürftig. Damit ist RLS eine der häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. Bei älteren Menschen ist die Erkrankung insgesamt öfter vertreten als bei jüngeren, ebenso bei Frauen, die zwei- bis dreimal so häufig betroffen sind wie Männer.
Bereits in der Literatur des 18. Jahrhunderts findet man Aufzeichnungen über das Krankheitsbild „Anxietas tibiarum“, was übersetzt so viel heißt wie „nervöse Muskelunruhe der Beine“. Doch das „Restless-Legs-Syndrom“ ist viel mehr als bloße Unruhe. Die Bandbreite der Symptome ist groß –viele von ihnen sind so undefinierbar, dass es selbst den Betroffenen schwer fällt, sie zu beschreiben oder in Kategorien einzuordnen. Da ist es kaum verwunderlich, dass die Erkrankung im Laufe der letzten Jahrhunderte vermeintlich immer wieder neu entdeckt wurde. Ganze 86 Begriffe existieren heute für RLS. Erst im Jahre 1940 prägt der schwedische Neurologe Karl Ekbom den Begriff „Restless-Legs-Syndrom“, der bis heute gültig ist.
Die Ursachen liegen im Gehirn
Mediziner unterscheiden zwei Formen des RLS: das idiopathische RLS, dessen Ursachen unbekannt sind, und das sekundäre RLS, das auf eine Vorerkrankung zurückgeht. Während das sekundäre RLS häufig infolge von Nierenversagen, Eisenmangel, Nebenwirkungen von Psychopharmaka oder im Verlauf einer Schwangerschaft auftreten kann, sind die genauen Ursachen des idiopathischen RLS nicht eindeutig belegt.
Mediziner vermuten, dass RLS auf eine Stoffwechselstörung des Botenstoffs Dopamin im Gehirn zurückgeht. Dopamin spielt eine wichtige Rolle bei der Weiterleitung von Nervenimpulsen im Gehirn und steuert somit viele Prozesse im Körper. Gerät der Dopamin-Spiegel aus dem Gleichgewicht, können sowohl körperliche als auch psychische Beschwerden entstehen. Auch das Restless-Legs-Syndrom hängt – diversen Studienergebnissen zufolge – mit einem gestörten Dopaminstoffwechsel zusammen.
Doch RLS weist noch eine weitere Besonderheit auf: Die Erkrankung kommt innerhalb von bestimmten Familien gehäuft vor. Ist das Restless-Legs-Syndrom also vererbbar? Zwar haben Forscher mittlerweile Teile des menschlichen Erbguts identifiziert, die scheinbar für das Restless-Legs-Syndrom verantwortlich sind, jedoch sind die Ergebnisse noch zu wage, um sie für eine einwandfreie Diagnose einsetzen zu können.
RLS in der diagnostischen Grauzone
Seit 2003 ist es dank neu festgelegter Diagnosekriterien möglich, die Krankheit zuzuordnen. Demnach sind lediglich vier Fragen für die Diagnose Restless-Legs-Syndrom erforderlich:
• Liegen Missempfindungen und Bewegungsdrang in den Beinen vor?
• Verschlimmern sich die Beschwerden bei Ruhe und Entspannung?
• Verbessern sich die Symptome bei Bewegung?
• Treten die Beschwerden zirkadian, also in bestimmten Tages-Nacht-Rhythmen auf?
Treffen alle vier Fragen zu, liegt höchstwahrscheinlich ein RLS vor – vorausgesetzt, es bestehen keine weiteren neurologischen Störungen. Viele Betroffene haben bereits eine lange Patientenkarriere hinter sich – eine Patientenkarriere, die oftmals von dem Wechselspiel aus Hoffnung und Enttäuschung geprägt ist und bei der die Krankenakte nicht selten mit dem Vermerk „psychosomatisch“ geschlossen wurde.
Frau Prof. Dr. Daniela Berg vom Zentrum für Neurologie am Hertie Institut für Klinische Hirnforschung Tübingen kennt dieses Problem: „Die Erkrankung erfordert viel Sensibilität vom Betroffenen und seinem Umfeld. RLS ist keine Lappalie, über die man hinweggehen darf. Wer Tag und Nacht nicht mehr zur Ruhe kommt, verzichtet auf Lebensqualität, riskiert seine Gesundheit und kann depressiv werden“, erklärte die Expertin auf einer RLS-Pressekonferenz in Hamburg. Oft dauere es mehrere Jahre oder Jahrzehnte, bis die Diagnose RLS steht. Daher sei es umso wichtiger, die Symptome nicht zu ignorieren, sondern bei den ersten Anzeichen einen Facharzt aufzusuchen.
Neue Therapien lassen hoffen
Im Laufe der Zeit verzweifeln viele Patienten auf der Suche nach einem Mittel gegen die quälende Unruhe in den Beinen. Frau Prof. Dr. Daniela Berg weiß: „Mit Hausmittelchen kann man das Problem in der Regel leider nicht in den Griff bekommen. Eine medikamentöse Therapie ist dann bei RLS unumgänglich.“
Die Therapie des Restless-Legs-Syndroms richtet sich – wie bei jeder Erkrankung – nach der Ursache. Bei einem sekundären RLS orientiert sich der Therapieplan daher an der jeweiligen Vorerkrankung, die dem RLS zugrunde liegt, etwa ein Eisenmangel oder Nierenversagen. Bei einem idiopathischen RLS hingegen waren die Therapiemöglichkeiten bislang recht überschaubar. Zu den Standard-Medikamenten zählen unter anderem Eisenpräparate, Antiepileptika oder auch Opioide (starke Schmerzmittel). Seit dem Jahr 2009 gibt es ein Wirkstoffpflaster , das den Betroffenen zumindest für einen bestimmten Zeitraum Beschwerdefreiheit verspricht. Es handelt sich um den Dopamin-Agonisten Rotigotin – ein Stoff, der im Gehirn eine ähnliche Wirkung auslöst wie der eigentliche Botenstoff.
Ergebnisse aus einer Studie zeigen, dass sich die Symptome bei über 50 Prozent der Teilnehmer verbesserten; fast jeder dritte Studienteilnehmer gab sogar an, auch nach einem Zeitraum von sechs Monaten noch beschwerdefrei zu sein. Das primäre Ziel der Therapie sei es deshalb, so Frau Prof. Dr. Daniela Berg, die Beschwerden dauerhaft zu verringern, um den Patienten ein Stück Lebensqualität zurückzugeben.
Quellen:
RLS-Pressekonferenz UCB, Juni 2010
RLS-Pressemitteilung UCB, April 2009: www.ucb.de/_up/ucb_de/documents/Pressemitteilung_Neupro_RLS_110809.pdf
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Periodic Limb Movement Disorder (PLMD), AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/081: www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/030-081.htm (Stand:10/2008)