Sie kam in unsere Ambulanz, weil sie mit dem Fuß umgeknickt war.
Der Fuß war gesund: leichte Schwellung über Fußrücken und Außenknöchel, aber nichts gebrochen.
Schwester Anna hat einen Diclo-Salbenverband gemacht und ich gebe die üblichen Ratschläge: Hochlagern, Kühlen und bewegen.
Gerade will ich meine Patientin mit mit Handschlag verabschieden, als mir etwas auffällt.
„Kannst Du den Ärmel bitte einmal hochschieben?“
Sie wird rot.
„Was soll damit sein?“
Sie trägt ein langärmeliges T-Shirt.
„Schieb es doch bitte mal hoch!“
Zögernd kommt sie der Aufforderung nach.
Am gesamten linken Oberarm sind zahlreiche querverlaufende, teils sehr tiefe und ziemlich häßliche Narben zu sehen.
„Und den anderen Arm?“
Das selbe Bild. Die Narben sind alt. Die meisten jedenfalls. Aber es sind auch ein paar frischere Wunden dabei.
„Wie lange machst Du das denn schon?“
Sie zuckt mit den Schultern. Ihre Augen sind plötzlich leer und traurig.
„Zwei Jahre…?“
Ich schiele auf die Krankenakte. Sie ist gerade mal fünfzehn. Draußen im Wartezimmer sitzt ein Trupp von fünf oder sechs giggelnden Teenies welche darauf warten, die Kollegin wieder in Empfang zu nehmen.
„Du warst Dreizehn, als Du damit angefangen hast!“
Sie nickt.
„Und warum?“
Sie sagt nichts. Schaut an mir vorbei.
„Wissen Deine Eltern davon?“
Ich beiße mir auf die Zunge. Was für eine blöde Frage! Logischerweise kriege ich keine Antwort.
„Warst Du deswegen mal beim Arzt?“
Sie nickt.
„Hausarzt. Kinder- und Jungenpsychiatrie. Therapie. Sogar in der Klapsmühle war ich schonmal. Bringt doch alles nichts.“
Sie schweigt wieder.
„Wirklich nicht?“
Sie verzieht den Mund.
„Möchtest Du überhaupt Hilfe?“
Ihre Augen füllen sich mit Tränen.