Die Situation, welche ich in meinem gestrigen Artikel beschrieben habe, ist nicht ungewöhnlich: Freunde, Eltern, Lehrer oder auch Ärzte entdecken die Narben und wissen dann nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen.
Selbstverletzendes Verhalten ist häufig.
Es wird vermutet, dass hierzulande mindestens ein Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens davon betroffen sind. Meist tritt es im Jugendalter auf und zwar bei Mädchen wesentlich häufiger als bei Jungen. Das durchschnittliche Alter bei Erkrankungsbeginn liegt bei dreizehn Jahren. „Ritzen“ ist nur eine von mehreren Spielarten. Das Spektrum reicht von exzessivem Nägelkauen oder Wangenbeißen bis hin zur Selbstamputation von Gliedmaßen oder sogar Genitalien.
Selbstverletzendes Verhalten wird oft bei Menschen beobachtet, welche an einer Borderline Persönlichkeitsstörung oder auch an Psychosen oder gar Schizophrenie leiden, aber bei weitem nicht jeder Selbstverletzer ist ein Borderliner (vielen Dank an die Kommentatoren, welche mich auf diese Tatsache hingewiesen haben).
Über die Ursachen weiß man nicht viel. Oft besteht ein Zusammenhang mit körperlichem oder sexuellem Mißbrauch in der Kindheit. Tatsache ist, dass beim „Ritzen“ Endorphine, also körpereigene „Glückshormone“ ausgeschüttet werden, ähnlich wie es auch bei großen Anstrengungen, zum Beispiel beim Marathonlauf der Fall ist.
Innerhalb des letzten Jahrzehnts hat die Häufigkeit von Selbstverletzendem Verhalten deutlich zugenommen. Böse Zungen reden daher von einer „Modekrankheit“, analog zur Anorexie in den Siebziger Jahren oder der Bulimie in den Achtzigern.
Die Behandlung ist sehr schwierig.
Sinnvoll sind verschiedene Arten von Psycho- und Verhaltenstherapien. Das setzt aber voraus, dass der Patient seine Krankheit einsieht und bereit ist, sich behandeln zu lassen. Das ist leider oft nicht der Fall – gerade bei Jugendlichen nicht.
Eine Patentlösung gibt es daher nicht.
Eine sehr gute Info zum Thema ist übrigens das Interview mit Herrn Prof. Sachssee aus Göttingen (Danke, Ilana für den Tipp!).