Böse Medizin, gute Medizin

Herr Schmidtmeiermüller wohnt im erzkapitalistischen Südspelunkistan.
Auch Herr Schmidtmeiermüller ist Patient. Seit zwei Tagen hat er Halsschmerzen und leichten Husten, aber ohne Fieber. Weil er nicht weiß, ob er morgen zur Arbeit gehen soll, sucht er den Doktor auf.
Südspelunkistan ist ein freies Land mit freien Bürgern und freier Marktwirtschaft. Der Staat hat sich zurückgezogen von allem, was ihn nichts angeht. Es herrscht strahlend goldglänziger Kapitalismus, alles ist bunt und glitzernd, wie sich das so gehört.
Der Doktor, den Herr Schmidtmeiermüller aufsucht arbeitet in einer schicken Praxis mit Marmorböden, Rezeptionstheke aus edlen Tropenhölzern und einer richtig leckeren blonden Dekoschnecke dahinter.
Die lächelt ihn an und bittet um seine Kreditkarte. Herr Schmidtmeiermüller hat, wie etwa die Hälfte der Bevölkerung, eine private Krankenversicherung. Die andere Hälfte der Bevölkerung hat keine.
Herr Schmidtmeiermüller darf, nachdem er den Blankobeleg zur Authorisierung seienr Kreditkarte unterschrieben hat in einem wolligweichen Ledersessel Platz nehmen, wo ihm ein richtig guter Espresso serviert wird. Sieben Minuten später geleitet die leichtbekleidete Dekoschnecke ihn dann in das Sprechzimmer vom Herrn Doktor.
Jenes ist mit stilvollen Ölgemälden und Luis-Quattorze Möbeln dekoriert.
Der Doktor tritt ein, guckt in Herrn Schmidtmeiermüllers Hals, hört auf die Lunge, misst Fieber und sagt dann:
„Sie haben einen Virusinfekt. Nichts dramatisches.“
„Aha?“
„Ja, aber man kann nie wissen. Also nimmt Ihnen meine Assistentin jetzt gleich mal ein wenig Blut ab, dann machen wir ein Röntgenbild von der Lunge und wenn das in Ordung ist, bekommen Sie eine Aufbauspritze mit ein paar Vitaminen drin.“
„Aha?“
„Richtig. Und morgen früh kommen Sie dann bitte nochmal zur Kontrolle vorbei. Dann habe ich auch die Laborergebnisse und dann unterhalten wir uns darüber, wie es weitergeht.“
„Ja?“
„Und ein Attest für die Arbeit bekommen Sie auch. Auf wiedersehen, bis morgen!“
Fünf Minuten später serviert ihm die leckere Dekoschnecke die Rechnung: Konsultation, Thoraxröntgenbild in 2 Ebenen, Labor, Attest und Aufbauspritze macht dreihundersiebenundvierzig Südspelunkistanische Rubel. Plus Mehrwertsteuer. Der Espresso war kostenlos.
Herr Meierschmidtmüller wohnt übrigens auch in Südspelunkistan. Er ist arbeitslos. Letztens hat ihm die Regierung die Unterstützung nach Quarz-vier gestrichen. Seitdem lebt er von seinen Ersparnissen. Auch er hat seit zwei Tagen Halsweh, leichten Husten und kein Fieber. Aber wegen sowas geht er nicht zum Arzt. Kann er sich gar nicht leisten. In der Küchenschublade hat er noch ein paar Tabletten Paracetamol gefunden, die nimmt er jetzt, trinkt ausreichend Flüssigkeit und legt sich erstmal ins Bett.

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