Da raucht ja noch einer…


Philip Morris ist ein sehr großer amerikanischer Zigarettenkonzern. Halt, stimmt nicht mehr so ganz. Seit dem 27. Januar 2003 heißt er eigentlich Altria Group Inc. Das ist jetzt der Mutterkonzern und dazu gehören Kraft Foods, Philip Morris USA, Philip Morris International and Philip Morris Capital Corporation. Auf keinen Fall, so ist auf der Website der Altria Group Inc. zu lesen, habe man sich mit der Umbenennung vom Erbe des Tabak-Konzerns entfernen wollen. Man sei im Gegenteil sehr stolz, dass man die beiden Spitzen-Tabakkonzerne der Welt besitze und ja auch jede ihren Namen „Philip Morris“ behalte. Angesichts der Entwicklung des öffentlichen Ansehens von Tabakkonsum in den USA (dazu später mehr) mag man eine gewisse Ambivalenz der Intention zur Namensänderung doch nicht so ganz ausschließen. Und weil man gerade dabei war, hat man die Hin-und-Hergerissenheit positiv genutzt und sich mit einem „ökonomischen Interesse“ von 36% an der zweitgrößten Brauerei weltweit, der südafrikanischen SABMiller plc beteiligt.

So bleibt man also den beiden größten legalen Substanzmärkten treu. Ambivalenz als Strategie, auch nicht schlecht.

Nikotin
Raucher haben’s schwer. Sehr schwer. Wegen eines kleinen gemütlichen Lasters werden sie ausgegrenzt, belächelt und sterben früher. Natürlich stimmt das nicht: Sie sind auch noch viel öfter krank. Bis auf den in jeder Familie vorhandenen 90-jährigen fitten Opa, der sein Lebtag nichts anderes getan hat als zu qualmen, dass die Gardinen schwarz wurden.
Falls Sie nach dieser Einleitung noch Lust haben zu lesen, erfahren Sie, weshalb die Gardinen schwarz werden.

Sehen
Rauchen hat zweifache, sich widersprechende (ambivalente) Wirkungen. Sie sind allerdings nicht von der Menge der konsumierten Substanz abhängig, sondern von der Grundbefindlichkeit des Konsumenten:
• Anregend, aktivierend bei Müdigkeit und
• Beruhigend, entspannend bei Nervosität. 

Raucher schreiben dem Tabakkonsum weitere positive Eigenschaften zu:
• Beseitigt vorübergehend Unlustgefühle.
• Vermindert Hungergefühle.
• Steigert die Selbstsicherheit.
• Verhilft zu besserer Denkleistung.
• Beseitigt Nervosität.
• Wirkt ent-stressend.

Tatsächlich bewirkt bereits geringer Nikotinkonsum:
• Verengung der Blutgefäße.
• Erhöhung des Herzschlags.
• Erhöhung des Blutdrucks,
also eher eine Stresslage des Körpers.

Spinnen die alle, die derartige positive Wirkungen des Rauchens erleben? Natürlich nicht und ich denke gar nicht daran, jemandem Einbildung nachweisen zu wollen, schon gar keinem Raucher. Denn das subjektive Erleben eines Gefühls bedeutet für den Erlebenden immer ein absolutes Stück Wahrheit: Es gibt keine Einbildung. Wenn ich etwas spüre, dann spüre ich es, egal aus welchem Grund – ich erlebe es so. Beispiel: Phantomschmerzen können richtig ekelhaft und schwer zu therapieren sein. Phantomschmerzen heißen so, weil sie vom Menschen beispielsweise in Gliedmaßen empfunden werden, die amputiert wurden. Es wäre ziemlich unverschämt, hier auf Einbildung plädieren zu wollen.

Ein gelernter Raucher lässt sich seine Empfindungen und Sichtweisen garantiert nicht so einfach abschwatzen. Weil das deshalb auch keiner will, steht am Anfang aller Bemühungen um das Wohlergehen dieser Mitbürger eine schlichte Analyse eventueller negativer Einflüsse.

Beim Tabakkonsum stehen unter ökonomischen Aspekten allerdings nicht mögliche Fehlentscheidungen durch vernebelte Gedanken im Fokus, sondern die negativen Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft durch die krank machenden Wirkungen des Tabakrauchens und den daraus ableitbaren direkten und indirekten finanziellen Folgen. (Zum Suchtpotenzial ist inzwischen so viel geschrieben worden, dass hier auf eine Wiederholung verzichtet werden kann.)

Was also kann das Rauchen?
Ich hatte an anderer Stelle gesagt, dass alle psychotropen Substanzen beileibe nicht nur negative Wirkungen im Menschen haben, sondern auch teils beneidenswert positive. Die Ausnahme ist der Tabak. Dazu fällt mir überhaupt nichts Positives ein.

Trotzdem vermag das Rauchen eine ganze Menge mit und in dem Raucher anzustellen.
Rauchen ist Alleinverursacher oder wirkt wesentlich bei folgenden Krankheitsbildern mit (ein kleiner Auszug):

Erkrankungen der Blutgefäße. 
Unsere Blutgefäße bilden das Röhrensystem, das im Körper für den gesamten Stofftransport zuständig ist. Sauerstoff zum Beispiel muss von der Lunge zu jeder einzelnen Körperzelle transportiert werden. Wird ein Rohr verstopft, kann nichts mehr transportiert werden. Wo nichts hinfließt, kann auch nichts ankommen. Das ist schlecht für die Zellen, weil sie ohne Sauerstoff sterben. Infarkt nennt man das. Passiert das den Hirnzellen, hat der Betreffende einen Schlaganfall. Ist ein Röhrchen im Herzen verstopft, bekommt er einen Herzinfarkt. Ist ein kleines Röhrchen betroffen, kann der Mensch überleben; ist ein wichtiges größeres verstopft, stirbt er ziemlich plötzlich. Passiert das vor Erreichen des 40sten Lebensjahres, liegt man selten falsch, wenn man einen Raucher vermutet. Aber auch in höherem Lebensalter hat ein Raucher noch doppelt so gute Chancen auf einen Herzinfarkt wie ein Nichtraucher. Letztere haben ebenso miserable Chancen auf Durchblutungsstörungen der Beine: fast 99% dieser mangelversorgten Beine gehören Rauchern. Immerhin jährlich rund 10.000 «Raucherbeine» sind so schlecht dran, dass sie ab müssen: die Amputation ist unvermeidlich.
Durchblutungsstörungen können im übrigen alle Organe und Organsysteme betreffen. Augen sehen schlechter, Nieren arbeiten unter ihrer wirklichen Leistungsfähigkeit und auch das Gehirn vergisst immer öfter, wo es ausgerechnet die Information abgespeichert hat, die wir gerade dringend brauchen.

Lungenkrankheiten. 
In unserer Lunge findet der lebenswichtige Gasaustausch zwischen den Blutgasen und der uns umgebenden Luft statt. Je größer die Fläche ist, auf der ein Austausch stattfinden kann, desto besser. Normalerweise ist die Austauschfläche unserer Lunge mit der Atemluft so groß wie ein Fußballfeld. Raucher packen da eine undurchlässige Teerschicht drauf. Schließlich bleibt ihnen nur noch der Strafraum zum Atmen. Da wird die Luft schon bei der kleinsten Anstrengung knapp.
Und natürlich kratzen die ganzen Giftgase und aggressiven Substanzen an den zarten Schleimhäuten und filigranen Membranen unserer Atemwege. Chronische Entzündungen sind die Folge (Bronchitis), Husten, Heiserkeit, Lungenblähungen (Emphysem), Anfälligkeit für eine Vielzahl von Krankheitserregern und noch so manches andere, schließlich natürlich auch für einen der bösesten Krebse überhaupt, den Lungenkrebs.
Mal ganz ehrlich: würden Sie auch nur einen Fuß in ein Flugzeug einer Fluggesellschaft setzen, deren Flugzeuge 25 mal so oft abstürzen, wie die Flieger anderer Gesellschaften? Raucher tun das. Ihr Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, ist 25 mal so hoch wie bei Nichtrauchern. Guten Flug.

Krankheiten des Verdauungstraktes. 
Zum Beispiel Magenschleimhautentzündungen, Magengeschwüre und Zwölffingerdarmgeschwüre. Oder Mundhöhlen– und Speiseröhrenkrebs. Oder Krebs der Bauchspeicheldrüse.

Psychische Erkrankungen.
Rauchen macht Angst. Weil Nikotin massiv in den Hirnstoffwechsel eingreift, sind rauchende Jugendliche bereits als junge Erwachsene von beispielsweise frei flottierender Angst, die ohne Grund aufkommt und zu Herzrasen, Schweißausbrüchen und Atemnot führt, 5,5 Mal so oft betroffen wie Nichtraucher. Agoraphobie – die Angst vor großen Plätzen – tritt bei ihnen siebenmal häufiger auf, und
sie haben ein um den Faktor 16 erhöhtes Risiko für Panikattacken. Psychische Störungen und Erkrankungen durch Nikotin und möglicherweise andere im Tabakrauch enthaltene Substanzen zeigen sich also viel früher als körperliche Folgeschäden.

Sonst noch was?
Ja, klar. Raucher bekommen viel schneller eine schrumpelige Haut. Bei Rauchern kommt es öfter zu einer Entkalkung des Knochens (Osteoporose). Raucher haben öfter Zahnfleischentzündungen. Raucher können nicht mehr so gut schmecken und riechen. Raucher haben eine schlechtere Wundheilung. Rauchen schädigt die Erbsubstanz in Spermien. Raucher blicken schneller nicht mehr durch: Rauchen ist der wichtigste Risikofaktor bei altersabhängiger Degeneration der Netzhaut. Und Raucher könnten sich auch rund 250 mal im Jahr die Lungen röntgen lassen, dann hätten sie in etwa die gleiche Menge Radioaktivität abbekommen, wie sie sich durch den Konsum von ein bis zwei Packungen Zigaretten pro Tag einverleibt haben.

Zwei letzte statistische Aussagen (eigentlich bin ich gar kein Freund von Statistiken, weil denen oftmals nicht so recht zu trauen ist und gemunkelt wird, mit Statistiken könne man alles belegen, was man wolle. Diese Statistiken hier sind natürlich ganz anders. Nüchtern, sachlich, objektiv und unbestreitbar): 
Das Risiko von Rauchern, eines unnatürlichen Todes zu sterben, ist mehr als doppelt so hoch wie das von Nicht- oder Exrauchern. Weil Raucher mehr Unfälle haben. Zum Beispiel schwerste Verbrennungen, weil sie mit der brennenden Zigarette eingeschlafen sind, sagt die Statistik. 
Zweitens: Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Rauchers ist 6 Jahre kürzer als die eines Nichtrauchers. Sagt wieder die Statistik. «Macht nix!» sagt an dieser Stelle immer irgend jemand…

Kostenkalkulationen:
Gar so viele Untersuchungen über die Kosten des Rauchens gibt es nicht. Sie sind schwer fassbar und auch hier gilt natürlich der Rat, man solle nur den Statistiken glauben, die man selbst gefälscht hat. Wenn ich trotzdem zwei Quellen benenne und deren Zahlen verwende, dann deshalb, weil ich sicher bin, dass diese Quellen seriös und parteiisch sind.
Die DHS gibt die tabakbedingten volkswirtschaftlichen Kosten für das Jahr 1996 mit rund 16,6 Milliarden Euro an. Im Vergleich zu 1993 wäre das eine Minderung um rund 700 Millionen Euro. Die Verringerung des Schadens erläutert die DHS nicht.
The European Network for Smoking Prevention (ENSP) ist ein 1997 in Belgien gegründeter internationaler non-profit-Dachverband mit über 530 Mitgliedsorganisationen. Er hat auf seiner Website eine bemerkenswert sorgfältige Studie veröffentlicht (www.ensp.org). Demnach kostete in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999 jeder qualmende Arbeitnehmer den Arbeitgeber rauchbedingte 1226 US-Dollar mehr als ein nichtrauchender Arbeitnehmer.

Ach ja: die Gardinen verfärben sich wegen der Schwebestoffe im Rauch. Sie werden zunächst gelblich und stinken, später bekommen sie einen Stich ins Dunkelbraune und stinken fürchterlich. Zu diesem Zeitpunkt merken das aber nur noch Nichtraucher.

Verstehen
Was Sie jetzt vielleicht nicht verstehen werden: ich habe gar nichts gegen das Tabak-Rauchen. Absolut nicht. Aber es raucht heutzutage keiner Tabak!
Wie das?
Ganz einfach:
Wir haben weiter oben gesehen, dass die Erschließung des Massenmarktes für Tabakprodukte ein Vorgang der letzten Jahrzehnte gewesen ist. Dabei half vermutlich auch die zunehmende Kenntnis chemischer Prozesse: im heutigen Tabakrauch sind rund 4000 chemische Substanzen nachweisbar, aber noch interessanter ist die Tatsache, dass zwischen 400 und 600 unbekannte Substanzen dem Tabak untergemischt werden oder ihn „verfeinern“ sollen, wie die Tabakindustrie vermerkt. Unbekannt sind diese chemischen Verbindungen deshalb, weil sie dem Betriebsgeheimnis des jeweiligen Tabakkonzerns unterliegen.
Geheimniskrämerei fördert Phantasien. Und so könnte man glatt auf die aberwitzige Idee verfallen, diese geheimen chemischen Stoffe würden von der Tabakindustrie doch nicht nur zum Vergnügen produziert und verwendet, sondern hätten, etwa in Zigaretten, ganz bestimmte und für das Unternehmen besonders wichtige Aufgaben. Zu den besonders wichtigen Aufgaben der Tabakindustrie gehört wahrscheinlich auch das Verkaufen ihrer Produkte. Nun sind dies Produkte, die unbestritten eine ziemlich hohe Kundenbindung produzieren, indem sie abhängig machen. Was läge näher, als diesen Produktvorteil auszubauen und chemische Substanzen zu verwenden, die beispielsweise die Suchtpotenz des Nikotin fördern oder stabilisieren? Und vielleicht alle paar Monate gewechselt werden, um Gewöhnungseffekten zu begegnen und Markenbindung zu steuern?
Aber, wie gesagt, das sind selbstverständlich nur Phantasien.

Immerhin dürfte ziemlich deutlich geworden sein, dass der Tabak früherer Generationen mit dem heutigen Chemiecocktail nun wirklich gar nichts mehr gemeinsam hat; deutlicher formuliert: früher gab es reinen Tabak, der relativ wenigen Menschen vornehmlich zu bestimmten Anlässen vorbehalten war – heute gibt es ein chemisches Produkt unbekannter Zusammensetzung, das massiv in einen Massenmarkt gedrückt wird. Kein Wunder, dass das krank macht.

Wie nachhaltig es die Tabak-Industrie versteht, ihren Interessen Raum zu verschaffen, mag ein weiteres Beispiel belegen. Gegner, pardon: Kooperationspartner waren diesmal nicht einfache, machtlose, weil abhängige Konsumenten, sondern immerhin Konzerne aus dem Bereich Pharmazeutische Industrie. (Wer sich an der Verwendung des martialischen Begriff „Gegner“ stört: Gemeinhin herrscht Krieg, wenn Menschenmassen durch Menschen massiv geschädigt oder getötet werden. 8,4 Millionen Tote jährlich durch das Rauchen sind eine ganze Masse.)

Diese Pharmazeutische Industrie, die unter anderem Arzneimittel produziert, kam schon vor vielen Jahren auf die ebenso sinnvolle wie nahe liegende Idee, an der Entwöhnung von Rauchern mitverdienen zu wollen. Dazu entwickelte man Nikotinpflaster und versprach sich ein Milliardengeschäft. Irgendwie verständlich, dass die Tabakindustrie das gar nicht so gerne sah. Man klopfte höflich an, tauschte freundlich Argumente aus und so konnte beispielsweise Philip Morris (Tabak) die Kollegen von Ciba-Geigy (Nikotinpflaster) und den Hersteller eins Nikotinkaugummis problemlos davon überzeugen, dass die Reduktion auf den simplen Satz: Fragen Sie Ihren Arzt, wenn Sie mit dem Rauchen aufhören wollen mit Sicherheit ungleich wirkungsvoller sei als die Herausgabe eines regelmäßigen Newsletters für Ärzte und Patienten mit Tipps für das Beenden der Nikotinabhängigkeit mithilfe von Pflastern oder Kaugummis. Ähnlich kollegiale Kommunikation wirkte vermutlich an der Jahrzehnte lang währenden relativen Zurückhaltung von Pharmakonzernen in Bezug auf Anti-Raucher-Kamnpagnen mit. Dass die Zigarettenindustrie ein sehr guter Kunde der Pharmazeutischen Industrie ist und ganz anständige Mengen von Pflanzenschutzmitteln verbraucht, dürfte bei diesen Gesprächen nur eine marginale Rolle gespielt haben.

Lisa Bero von der Universität in San Francisco (UCSF) und die Wirtschaftsexpertin Bhavna Shamasunder haben im Jahr 2002 allerdings eine Studie verfasst, in der sie eher das Gegenteil behaupten und meinen, die Zigarettenhersteller hätten massiv Einfluss genommen. «Die beiden Autorinnen stützen sich auf Dokumente, die auf den Webseiten der Tabakkonzerne veröffentlicht worden waren. Das so gezeichnete Bild entspreche zumindest der Lage von Mitte der 80er Jahre bis Mitte der 90er Jahre. Ob es heute noch ähnliche Beziehungen zwischen Tabakindustrie und manchen Pharmaunternehmen gebe, sei nicht klar zu sagen, da aktuelle Dokumente fehlten.»… (Bild der Wissenschaft online www.wissenschaft.de, „Tabakkonzerne bremsen“, 14. August 2002)

Aufhören ist ganz einfach: manche haben’s schon 20 mal gemacht
Gretchenfrage: Warum kann der eine Mensch von einer Sekunde auf die and
ere aufhören mit dem Rauchen und hat null Probleme damit, und der andere schafft es nach zwanzig Versuchen nicht und jeder Versuch ist eine Qual? Wenn Nikotin so abhängig macht, wie inzwischen belegt, dann doch wohl alle!? Bei anderen abhängig machenden Substanzen sind derart gravierende Unterschiede im Entzugsverhalten ja auch nicht bekannt.
Antwort: Keine Ahnung. Aber spekulieren kann man.
Und dabei fallen einem dann wieder die Betriebsgeheimnisse ein. Wenn ich a) von Chemie Ahnung hätte, b) einen solch fabelhaften Grundstoff wie das Nikotin, c) einen riesigen Absatzmarkt und d) eine auskömmliche Gewinnspanne, würde ich mir überlegen, wie ich die Leute bei Laune halte. Das macht man gerne durch Abwechslung. Also würde ich mir einen Stoff bauen, den ich variieren kann: ein halbes Jahr diese Zutaten, im nächsten halben jene Zutaten. Und immer sind die Zutaten so zusammengesetzt, dass die abhängig machenden Grundstoffe von jeweils anderer Seite Unterstützung erfahren. So würde ich einer schnellen Gewöhnung des Körpers an eine bestimmte Substanzkombination entgegen wirken können. Nebeneffekt: die Kunden üben Markentreue.
Man könnte sich vorstellen, dass eine phasenweise Veränderung der Zusammensetzung Einfluss auf die Wirksamkeit von Aufhör-Versuchen hat. Wäre ja eine mögliche Erklärung. Aber die Tabakkonzerne tun so was Ungezogenes bestimmt nicht.

Übrigens: Die Krebs erzeugenden Nitrosamine entstehen erst im Laufe der Weiterverarbeitung des Tabaks. Das amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC) hat im Mai 2003 eine Studie zum Nitrosamingehalt im Tabak vorgelegt und stellt darin unter anderem fest, dass der Gehalt selbst innerhalb einer Marke schwankt. (Pressetext Austria, 30. Mai 2003)

Möglicherweise sind aber auch mal wieder die Gene Schuld: Wissenschaftler der Universität von Philadelphia (USA) haben bei Rauchern, die besonders schwer vom Qualm entziehen können, einen spezifischen Gendefekt entdeckt, der den Abbau des Nikotin stört.

Kurze Mitteilung an den Raucher, der bis zu dieser Stelle durchgehalten hat und jetzt angesichts des Gendefektes (kann man ja nix für…) zustimmend nickt: Kein Grund, die Raucherbeine in den Schoß zu legen. Letztlich ist das „nur“ ein quantitatives Problem!

Weil Ökonomie auch mit Zukunft zu tun hat, hier noch der Hinweis auf Entwicklungen, die unsere unmittelbare Zukunft betreffen, unsere Kinder:

«Laut einer Studie kanadischer Wissenschaftler sind Mädchen, die bereits im Teenager-Alter zur Zigarette greifen, besonders gefährdet im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken. Das berichtet BBC-Online http://news.bbc.co.uk heute, Freitag. Die Studie wurde auch im Wissenschaftsmagazin Lancet veröffentlicht. Bei Mädchen, die innerhalb von fünf Jahren nach Beginn der ersten Menstruation zu rauchen beginnen, steigt das Risiko an Brustkrebs zu erkranken um fast 70 Prozent. Die Forscher haben für die Studie über 2.000 Frauen unter 75 Jahren untersucht.» (Pressetext Austria, 4. Oktober 2002)

«Die Folgen des Passivrauchens für die Gesundheit von Kindern sind weit schlimmer, als bisher angenommen. „Rauchen in Anwesenheit von Kindern kommt einer Körperverletzung gleich“, heißt es in einer Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums» schreibt die Süddeutsche Zeitung am 3. August 2003. Nach den Daten des Deutschen Krebsforschungszentrums ist Rauchen verantwortlich für 15 Prozent aller Frühgeburten und rund einem Viertel aller Fälle von geringem Geburtsgewicht. Rauchen in der Schwangerschaft erhöht die Zahl der Totgeburten um 50 Prozent und das Risiko für Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalte drastisch. Rauchen in den ersten Lebensmonaten des Babys erhöht die Gefahr des plötzlichen Kindstodes auf das Acht- bis Sechzehnfache. Zwei Drittel aller Kinder leben in Raucherhaushalten. Sie sind im Vergleich zu einem Nichtraucher-Haushalt damit einem teils dreifach höherem Risiko ausgesetzt an Atemwegserkrankungen, Mittelohrentzündungen, Lungenentzündung und Asthma zu erkranken.

Doch noch etwas positives: Die Einnahmen aus der Tabaksteuer stellen den viertgrößten Posten im Bundeshaushalt dar. Schade: es könnte rund eine halbe Milliarde Euro mehr sein, wenn nicht so viel geschmuggelt und damit an der Steuer vorbei geraucht würde.

Handeln
Man könnte noch Stunden lang Horrorszenarien entwerfen, Beispiele aus der Lebenswirklichkeit zum Besten geben, Belege für die volkswirtschaftliche Schädlichkeit ausbreiten, Schicksale zitieren, Preiserhöhungen auf zehn Euro pro Packung fordern und so weiter: «Es bringt nichts!» würde immer jemand sagen, «Raucher sind zäh. Und außerdem ist das Sucht und da ist mit Zeigefinger, Drohgebärden, Verboten, Verknappung und so weiter sowieso nichts zu machen.»

Das mit dem Rauchen ist wirklich ein Elend.

Aber vielleicht doch nicht ganz hoffnungslos: Im Laufe der Jahre hat sich in bundesrepublikanischen Regierungskreisen herumgesprochen, dass die kräftige Subventionierung der EU-Arbeitsplätze im Tabakanbau tatsächlich auf der Ausgabenseite der Bilanz steht und den Einnahmen aus der Tabaksteuer trotz Lobbyisten-Schwur ziemlich kräftige Ausgaben im Gesundheitsbereich auf dem amputierten Fuße folgen, die Kostentabellen mit volkswirtschaftlichem Charakter unfreundlich rote Zahlenkolonnen in den Rauch, äh Raum stellen und darüber hinaus sich die ehrenwerten Konzerne mehr und mehr den Ruf einer ehrenwerten Gesellschaft mafiösen Vorbilds annähern – kurz: seit die Politik ein Vermittelbarkeitsproblem dem schlichten Bürger gegenüber ausgemacht hat, seitdem tut sich was. Zum Beispiel fängt man an, lange existierende EU-Richtlinien umzusetzen. So zieren seit Anfang 2004 häßlich-aufdringliche Botschaften jede Zigarettenpackung. Das ist gut, denn mit diesen Assoziationen fällt der Aufbau eines positiven Images der selbst- und fremdschädigenden Beschäftigung, die sich mancher gerne richtig was kosten lässt, deutlich schwerer.

Schlichte Verbote helfen nicht weiter, sie können höchstens am Ende einer Imagekampagne stehen und sind bei deren Erfolg dann regelmäßig unnötig. Politiker müsste der Begriff Imagekampagne hellhörig machen und erst recht deren Erfolge: Ausgerechnet im Mutterland der großen Tabakkonzerne, in den USA, gilt das Rauchen inzwischen vielfach als ziemlich uncool. Das ist zweifellos ein schöner Erfolg, der bedauerlicherweise durch eine uramerikanische Eigenart wieder gefährdet wird: missionarischer Eifer. Wenn man sich in Manhattan zum öffentlichen Abfackeln nur noch in einer eher obskuren Seemannskneipe treffen kann und Raucher sich beinahe tätlichen Angriffen ausgeliefert sehen, dann geht das bei aller Vernunft, ökonomischen Klugheit und Liebe zum Nichtrauchen zu weit. Die Gefahr: die Ausbildung einer aggressiven Subkultur – mit Kultstatus. Das ginge dann kräftig nach hinten los. So weit sind wir Gott sei Dank noch nicht, aber erste Rauchzeichen sind sichtbar: Dem Zigarettenkonzern Philip Morris ist im vierten Quartal 2003 «durch höhere Werbeaufwendungen und neue Produkte die Wende im Tabakgeschäft in den USA» gelungen, wie der Chef des Mutterkonzerns Atria, Louis Camilleri, laut einer Reuters-Meldung vom 28. Januar 2004 zufrieden feststellte.

Augenmaß wäre also gefragt und weil man das bundesdeutschen Politikern nicht leichtfertig unterstellen sollte, hilft vielleicht ein zweifacher Blick über den großen Teich, nach Brasilien und nach Kanada. Brasilien hat im Jahre 2003 ein Gesetz verabschiedet, das auf der gesamten Rückseite jeder Zigarettenschachtel eine Gesundheitswarnung vorschreibt. In Brasilien leben viele Menschen, die nicht lesen können. Aber Bilder können sie verstehen. Und weil ein Bild mehr sagt als tausend Worte (so sagt man jedenfalls), zieren seither brasilianische Zigarettenpackungen teils deftige fotografische Belege der Folgen dauerhafter Tabak-Inhalation: Lungenkrebs im Endstadium am Beatmungsgerät, Frühgeburt im Brutkasten und Herzinfarkt mit unklarem Ausg
ang beispielsweise.
Brasilien stützt sich bei dieser Vorgehensweise auf Erfahrungen aus Kanada. Dort wurde erstmals entschieden, die Macht des Bildes zu nutzen. Mit bereits spürbarem Erfolg: Einer Umfrage der Canadian Cancer Society zufolge gaben ein Drittel aller Raucher, die mit dem Mist aufgehört haben, an, die Bilder hätten sie nachdrücklich beeinflusst.
Es ist sehr ökonomisch, die Erfahrungen anderer zu verwerten und weiter zu entwickeln.

Entnommen dem Buch: „Oops!?“ Was man über Whisky, Pillen Koks & Co. noch wissen sollte. ISBN 9783833491542
Books on Demand GmbH, Norderstedt 2007, © Karsten Strauß



Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *