Neulich habe ich einen alten „Tatort“ gesehen. In Schwarz-Weiß. Deshalb war der Rauch, der von den so etwa alle 3 Minuten entflammten Zigaretten durchs Bild waberte, auch richtig hell und weiß. Damals hat deshalb noch niemand schwarz gesehen, Rauchen gehörte dazu. Selbst in Talkshows. Heute ist das anders.
Heute sollte sich ein Moderator mal unterstehen, öffentlich oder gar im TV live zu rauchen. Er liefe Gefahr, unter Beifall verhauen zu werden. Früher waren viele Raucher militant („Ich lass‘ mir meine Rechte auf Selbstverwirklichung nicht einschränken!“), heute sind viele Nichtraucher militant („Ich lass‘ mir meine Rechte auf Selbstverwirklichung nicht einschränken!“).
Natürlich haben die Nichtraucher Recht: Rauchen ist bescheuert und gefährlich, Ursache und Förderer vieler Krankheiten, wirkt auch auf Menschen, die nicht rauchen und kostet das Gesundheitssystem Milliarden.
Aber: Rauchen ist auch Krankheit. Es ist unstrittig, dass das Tabakrauchen abhängig krank macht, früher oder später. Und dann wird‘s kompliziert mit dem Rauchen: Es wäre eine höchst interessante Variante, Krankheit dadurch zu heilen, indem man sie – beispielsweise an öffentlichen Orten – einfach verbietet. Und bei Zuwiderhandlung mit einer Strafe bedroht.
Natürlich geht im Fall der (Nikotin)Abhängigkeitserkrankung der Krankheit eine individuelle Entscheidung voraus: Niemand wird gezwungen, eine erste Zigarette zu rauchen oder auch das erste Mal Heroin oder Kokain zu konsumieren. Dummerweise werden von uns Menschen bekanntlich immer wieder Entscheidungen getroffen, deren individuelle und gemeinschaftliche Folgen wir nicht abschätzen können, nicht abschätzen wollen, uns gründlich verschätzen oder sie einfach ignorieren; manchmal geschieht so etwas aus schlichter Dummheit, manchmal auch aus Vorsatz.
Nun arbeite ich seit langer Zeit im Suchtbereich, mit vielen, vielen Patienten. Mir ist aber noch nicht ein einziger abhängig Kranker untergekommen, der vorsätzlich krank geworden wäre….oder kennen Sie jemanden, der beispielsweise seine erste Zigarette mit dem Vorsatz geraucht hat: ich will in Zukunft abhängig werden und meinen Tagesablauf, mein Wohlbefinden, meine Beurteilung, ob ich eine Situation als entspannt und kommunikativ erlebe davon abhängig machen, ob ich eine Zigarette rauche oder nicht; ich will dafür die Gesundheit meiner Geschmacksnerven, meiner Blutgefäße, meiner Lungen, meines Herzens und meines Kreislaufes aufgeben und mich nicht beklagen, wenn ich vor der Zeit an Lungenkrebs sterbe?
Jeder ist davon überzeugt, die Angelegenheit unter Kontrolle zu behalten.
Zu viele irren sich.
Dann werden sie krank. Ziemlich viele werden krank und deshalb kosten sie eine Menge Geld. Wo viel ausgegeben wird, kann man ja auch viel sparen, sagt man. Stimmt wohl und ich frage mich daher, ob der Tabakanbau in der EU (200.000 Arbeitsplätze) immer noch mit 1 Milliarde Euro jährlich subventioniert wird.
In vielen Ländern gab und gibt immer wieder Zeiten, in denen Menschen, die an nicht gesellschaftsfähigen Krankheiten leiden, geächtet und diskriminiert werden.
Was soll man davon halten, wenn die Opfer für den Schaden haftbar gemacht werden, die Dealer, Vertreiber, Hersteller und Unterstützer der krank machenden Substanzen aber nicht…?