Der Weg zum Bäcker I

Wie das Berufs-und Privatleben von uns Ärzten in Fernsehserien verkauft wird, hat meistens etwas von Großmutters Märchenstunde. Ob Der Landarzt, Schwarzwaldklinik oder Klinik unter Palmen, all diese Sendungen strotzen vor Klischees. Aber gelegentlich spiegeln Klischees tatsächlich die Wirklichkeit. Erst heute:
Es ist Samstagmorgen, herrlicher Sonnenschein. Ich radle durch unsere Kleinstadt mit dem Fahrrad zum Bäcker. Am Ende dieser kleinen Radtour zu Hause angekommen, sitze ich vor meiner Tasse Kaffee und die zurückliegende Episode erscheint mir wie pures Unterhaltungsfernsehen. Hier ein Gruß in ein offenes Fenster, dort ein Winken in die Windschutzscheibe eines Autos. Guten Morgen nach rechts und Guten Morgen nach links, gespickt mit Kommentaren, von mir zu den Patienten und zurück.
“Unser Doktor, immer sportlich, sportlich!”
“Na, Herr Doktor, Lappen futsch?” Breites Grinsen.
Bis zum Bäcker sind es 1,2 Kilometer und achtmal Grüßen. Hinterm Verkaufstresen sind von vier Verkäuferinnen drei Patientinnen. Eine schnelle Kontrolle der Augenbrauenplatzwunde über die Kuchenauslagen hinweg ist ebenso drin, wie der Kurzbericht vom wieder genesenen Töchterchen.
Die Rückfahrt ähnlich, inklusive kurzen Stopp bei Patienten, die gleichzeitig Sportskameraden sind. Eine kurze Feststellung, dass das Spiel gegen Uruguay nicht einfach wird, dann geht’s weiter.
Der insgesamt fünfzehnte Patient auf meinem knapp zweieinhalb Kilometer langem Ausflug zum Bäcker und zurück, kommt mir im Cabrio entgegen. Das Gesicht hochrot, aber nicht von der Sonne. Es ist Herr Gerster. Sein Weg zum Bäcker ist kürzer als meiner. Zwei Tage zuvor haben wir besprochen, das Bewegung und Gewichtsabnahme lebenswichtig für ihn sind. Er hat es eingesehen und mir versprochen, das Auto öfter stehenzulassen und Gewicht abzunehmen. Und dann kommt einem der Hausarzt am Samstagmorgen um acht Uhr auf dem Fahrrad entgegen, während man selbst schön bräsig im Auto sitzt, um reichlich frische Brötchen zu holen. Patienten haben es auch nicht leicht.

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