Horner oder Koaner? Kranke Gesundheitspolitik

Heute mal wieder ein Beispiel aus dem prallen Neurologen-Leben, das zeigt, wie schwachsinnig unser Gesundheitssystem geworden ist. Aber ich warne Euch: es wird etwas kompliziert.

Ungleich großes schwarzes Loch
Immer wieder entdecken Patienten an sich oder aber deren Partner beim tiefen Blick in die Augen (also meist Frischverliebte), dass die Pupillen nicht exakt gleich groß sind. Dies nennt man Pupillendifferenz. Viele kommen dann beunruhigt zum Neurologen und wollen natürlich das „Bild vom Kopf“ oder in die „Röhre“ oder noch besser ein „Kernspinnt“.

Was steckt dahinter?
Wenn sich dann die Pupillen auf Belichtung seitengleich prompt verengen, so liegt entweder eine angeborene leichte (harmlose) Pupillendifferenz vor (so ähnlich wie zwei ungleich große Ohren) oder aber ein sogenanntes inkomplettes Horner-Syndrom (Störung des Sympathikus mit Störung der Erweiterung der Pupille). [beim kompletten Horner-Syndrom hängt auch noch das Oberlid auf Halbmast und das Auge ist etwas zurückgesunken – dann ist die Diagnose leicht]

Wie kommt man zur Diagnose?
Bei gründlicher Untersuchung finden sich schon Hinweise, ob es eher ein Horner ist, oder die harmlose Pupillendifferenz. Beweisen lässt sich das aber nur durch einen speziellen Test.

Kokain beim Augenarzt
Durch Kokainlösung in die Augen getropft kann man das Horner-Syndrom beweisen. Durch weitere Augentropfen-Tests kann man dann noch unterscheiden wo genau die Läsion des sympathischen Nervensystems liegt.

Wo ist das Problem?
Der Kokaintest setzt voraus, dass der Arzt die betreffenden Augentropfen vorrätig hat und frisch vorhält. Zudem sollte er Augenarzt sein, denn vor diesen Tests muss eine bestimmte Glaukomform (im Volksmund „Grüner Star“) ausgeschlossen werden. Der Knackpunkt ist, dass fast kein niedergelassener Augenarzt bereit ist für eine Flatrate von knapp 20€ solche komplizierten Tests durch zu führen. Zudem wurden bei einem anderen Kollegen mehrfach die Kokainfläschchen gestohlen. Kurzum: eine eigentlich einfache Aufgabe wird in der Praxis schier unlösbar, weil die Infrastruktur durch unsinnige Gleichmacherei zerstört wird.

Lieber ein teures, überflüssiges MRT als endlose Augenarztsuche
Als ich bei einem Qualitätszirkeltreffen in der Runde von 10 Neurologen wissen wollte, wie sie diese Abklärung handhaben, herrschte Resignation und die meisten gaben zu, praktisch alle Patienten mit Pupillendifferenz „sicherheitshalber“ in die „Röhre“ zu schieben – sprich ein MRT zu veranlassen, obwohl den meisten eigentlich klar ist, dass dies in der Regel völliger Unsinn ist.

So darf die Krankenkasse dann also einen im Vergleich zu Kokaintropfen horrrenden Betrag für die Kernspintomographie bezahlen, ohne dass die Frage eigentlich beantwortet wird. Und keiner merkt, wie in der Medizin kaputtgespart wird.

Filed under: Kranke Gesundheitspolitik, Praxislust – Praxisfrust (Alltag) Tagged: Alternative Medizin, Arzt, Ärzte, Gesundheitspolitik, Gesundheitsreform, Neurologie

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