Okay, okay.
Jeder erlebt sowas irgendwann mal. Zumindest jeder Arzt. Fast jeder.
Meine Wenigkeit hatte bislang noch nicht das Vergnügen… bislang… bis jetzt.
Also.
Medizynicus sitzt im ICE von Weißgottwohausen nach Irgendwo. Bad Dingenskirchen ist weit entfernt und das Kreiskrankenhaus sowieso.
Medizynicus hat frei. Kein weißer Kittel, kein Stethoskop und zum Glück sieht man ihm seinen Beruf nicht an der Nase an.
Draußen hat’s so um die dreißig oder vierzig Grad im Schatten und hier drinnen säuselt die Klimaanlage (immerhin funktioniert sie!) und Medizynicus dämmerdöst bei Tempo zweihunderfünfzig durch blühende Sommerlandschaften.
Der Lautsprecher knackst. Was kommt jetzt? Zum hundertsten Mal die Ansage mit den Hinweisen auf das überteuerte gastronomische Angebot des Bordrestaurants? Nächster Halt wasweißichwo?
Nichts dergleichen.
„Falls sich ein Arzt an Bord befindet, wird dieser gebeten, sich in Waggon dreiundzwanzig zu begeben!“
Nix da. Ich bin heute Privatmensch. Demonstrativ schließe ich die Augen und atme tief ein. Einatmen, ausatmen, aufs innere Chakra-Karma-Ying-und-Yang hören und entspannen, entspannen, entspannen….
„Entschuldigung, wir wiederholen noch einmal die Durchsage, falls sich ein Arzt…“
Jajaja, weiß schon Waggon dreiundzwanzig. Wo ist der denn überhaupt? Was geht mich das an? Schlechtes Gewissen? Oder Neugier? Okay, etwas Bewegung kann nicht schaden.
Also mache ich mich auf den Weg, bemühe mich um eine wichtige Miene und klettere über Kofferberge.
Am Eingang zu Waggon 23 kommt mir ein wohlbekannter Geruch entgegen. Und eine grauhaarige Gestalt in den Fünfzigern.
„Sie sind Kollege nehme ich an? Na, denn übernehmen Sie mal!“
Mit einem erleichtert wirkenden Lächeln begibt er sich zurück in Waggon 24, während ich mich für den Auftritt bereit mache.