Lauterbach hat sich wohl zum Ziel gesetzt, Misstrauen und Argwohn zur politischen Leitkultur zu erheben
Betrugsfälle gibt es im Gesundheitswesen zweifellos. Beispielhaft sind zu nennen:
Ein Apotheker fälschte Rezepte, ein Sportverein sammelte Versichertenkarten für einen Arzt ein und finanziert damit seine Trainer, ein Arzt impfte Tote, ein Zahnarzt verkaufte Billigzahnersatz zu Höchstpreisen, ein Versicherter mißbrauchte seine Karte und erschlich sich Medikamente, Pflegedienste setzten Hilfskräfte statt examinierter Kräfte ein, Taxifahrer fälschten Belege, eine Hebamme berechnete nicht erbrachte Leistungen, ein Physiotherapeut fälschte Belege.
Mit konkreten Zahlen konnte schon 2005 niemand dienen. Noch heute vermag das kaum einer zu schätzen.
Nun aber zum Abrechnungsbetrug von Ärzten bei GKV-Patienten, auf den sich in der Diskussion viele stürzen.
Mit genügend krimineller Energie könnte ich beispielsweise irgendwelche EBM-Ziffern zwei, vier, oder acht Mal, statt ein Mal pro Termin eintragen. Merkt erst mal keiner. Außer ich bin so blöd, mein Tageszeitprofil zu überschreiten. Dazu gleich mehr.
Bei der Abrechnung das böse Erwachen: egal, wie oft ich welche Ziffern abrechne, ich kriege immer nur mein RLV ausbezahlt. 48 Euro pro Fall und Quartal. Unabhängig davon, ob ich exakt 48 oder 96, oder (kriminell) 250 Euro abgerechnet habe. Da wird einem das Betrügen schon ganz schön schwer gemacht
Ausnahme: die genehmigte Psychotherapie. da kriege ich jede abgerechnete Stunde voll bezahlt (rund 86 Euro).
Bevor ich erfolgreich betrügen kann, muss ich an der Kassenärztlichen Vereinigung vorbei. Und die nimmt fast die ganze Fahrbahnbreite ein.
Als erstes kommt die sachlich-rechnerische Berichtigung. Wenn ich inkompatible Ziffern parallel abzurechnen versuche, wirft die KV eine davon automatisch raus (beispielsweise, wenn ich mehr als vier Kriseninterventionen im Quartal abrechnen möchte, oder mehr als zweimal psychiatrische Krankenpflege verordne, oder wenn ich das Porto für die Mahnung wegen der Kassengebühr eintrage und hinterher erfahre, dass der Patient schon zuzahlungsbefreit ist).
Dann kommen die Tages- und Quartalszeitprofile. Wenn ich die mehr als einmal überschreite, komme ich automatisch in den Verdacht der Falschabrechnung (so viel zu den 25 Stunden Psychotherapie pro Tag, die ich – theoretisch – eintragen könnte).
Dann kommt der Fachgruppenvergleich. Liege ich signifikant über dem Fachgruppendurchschnitt der Abrechnungshäufigkeit einzelner Leistungspositionen, erfolgt eine Auffälligkeitsprüfung.
Und schließlich kommt die horizontale Plausibilitätskontrolle: der Vergleich mit meinem eigenen Abrechnungsverhalten in den Vorquartalen.
Sie sehen, dass das System schon ganz gut gegen Missbrauch geschützt ist. Aber das kostet! Hunderte, Tausende von Kontrolleuren sind den ganzen Tag damit beschäftigt. Keine Sorge – die zahle ich selbst, mit meiner Verwaltungsabgabe an die KV (3,5% meines Umsatzes).
Rechnung an die Patienten wäre trotzdem nicht schlecht. Die würden dann nämlich merken, dass nur die Hälfte der tatsächlich geleisteten Arbeit bezahlt wird.
Das Thema gab’s übrigens vor exakt einem Jahr schon mal. Und im Juni 2008. 2007 war Pause. 2006 war’s dafür schon im Mai.
Typisches Sommerthema?