Der lange Weg eines Nierensteins 6/8

Die nächste Attacke
Fast eine Woche verdrängt Herr M. sein Problem vom Sonntag. Es geht ihm fast gut. Vielleicht hat sich die Diagnose Nierenstein von selbst erledigt. Aber es ist wie mit Zahnschmerzen, die von selbst verschwinden und von denen man hofft, man muss nichts unternehmen. Sie kommen wieder – nachts oder am Wochenende. Herrn M.‘s Schmerzen kamen ebenfalls wieder, und wenn es ging, noch heftiger als zuvor – am Wochenende.
Es ist Samstagnachmittag. Er trinkt ein Bier mit dem Nachbarn über den Zaun hinweg, als er plötzlich im Schmerz einknickt und seine Gesichtsfarbe verliert. Sein Nachbar klettert über den Zaun und seine Frau hat den Aufschrei gehört. Sie hat es gleich gesagt, dass das nicht gut geht. Sie ruft den Hausarzt an, das bin ich. Aber der ist nicht erreichbar, weil einen Wochenendausflug macht. Dann eben der hausärztliche Notdienst.
Das besondere Telefonat
Das Fazit des Telefonats ist schnell gezogen: Der diensthabende Hausarzt hat keine Sprechstunde mehr, kommt aber auch nicht raus. Seine Logik ist bestechend: Entweder der Kranke ist so krank, dass er ins Krankenhaus muss, oder es ist nicht so schlimm, dann hat es auch Zeit bis nach dem Wochenende. Selbst die Verdachtsdiagnose Nierenstein kann ihn nicht erweichen. Es bleibt bei seiner Alternative. Immerhin ist er bereit, den Krankentransport anzurufen, Frau M. aber nicht vergessen, nach dem Wochenende zu ihm in die Praxis zu kommen, um die Versichertenkarte ihres Mannes einlesen zu lassen.
Einschub
Sicher gibt es auch ganz andere Hausärzte und Krankenhausärzte als die, auf die Herr M. getroffen ist. Er hatte Pech. Andererseits ist fehlende Zugewandtheit in der modernen Medizin ein nicht zu unterschätzendes Problem.
Im Krankenhaus, dritter Akt
„Haben Schmerzen?“
Herr M. fährt zusammen. Er hat über eine Stunde im Aufnahmeraum gelegen und ist eingenickt. Das Brüllen aus dem Nichts war eine Frage. Bevor er antworten kann, meldet sich der Arzt fremdländischen Einschlags wieder.
„Haben Schmerzen oder nix Schmerzen?“
Herr M. tut, was er auch bei einem deutschen Arzt getan hätte, das hat nichts mit der Nationalität zu tun. Er erhebt sich leicht und sieht dem Arzt in die Augen.
„Guten Tag, mein Name ist M.. Ja, ich habe Schmerzen, sehr starke Schmerzen, hier in der Seite. Im Moment ist es auszuhalten.“
Der Mann verschwindet so grußlos wie er gekommen ist. Herr M. bleibt eine weitere Stunde allein.

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