Der lange Weg eines Nierensteins 8/8

Beim Hausarzt
Als Herr M. vor mir sitzt, muss er vor allem erstmal seine Geschichte loswerden. Während seines Berichts stehen ihm die wechselnde Gefühle von Wut, Verzweiflung und Machtlosigkeit im Gesicht geschrieben. Mit Fünf-Minuten-Medizin ist hier gar nichts zu machen.
Danach beratschlagen wir gemeinsam, was zu tun ist. Beschwerden hat der Patient zur Zeit keine. Wir einigen uns auf eine Kontrolle des Befundes per Ultraschall, Blut-und Urinanalyse. Das sind wenig eingreifende Maßnahmen und oft eine gute Taktik für eine hausärztliche Beobachtung. Grundsätzlich gilt, dass der Körper die meisten Befindlichkeitsstörungen und Krankheiten selbst in den Griff bekommt. Nur bei den schweren, bedeutenden Krankheiten sollte/muss/darf der Arzt mit einschneidenden Maßnahmen eingreifen. Diese besonderen Krankheiten sind seltener als Patienten und Ärzte denken. Es gilt die alte Weisheit, das Seltene ist Selten. Die Kunst eines Hausarztes ist es, die Kolibris zwischen den vielen Spatzen und Meisen zu entdecken.
Ich verabschiede den Patienten. In der Tür stehend, bitte ich ihn, ein Gedächtnisprotokoll seiner Odyssee zu schreiben, mit möglichst allen Einzelheiten.
„Das können Sie haben, gerne sogar.“
Dieses Protokoll ist natürlich für www.der-andere-Hausarzt.de gedacht, trotzdem hilft es nicht nur mir. Der Patient ist beim nächsten Termin regelrecht erleichtert, weil er sich mal alles von der Seele schreiben konnte.
Wie geht‘s weiter?
Der Nierenstein? Rührt sich nicht. Ist auch nicht zu sehen. Kein Urinaufstau, keine Schmerzen. Monate sind vergangen, die Kontrolluntersuchungen auf immer größere Intervalle ausgedehnt. Die Natur hat sich wohl auch in diesem Fall selbst geholfen – zumindest bisher. Der Stein ist nicht beim Toilettengang entdeckt worden, was einerseits nicht gegen einen vollständigen Abgang spricht, andererseits daran liegen könnte, dass das Konkrement in die Harnblase gefallen ist. Die Blase ist ein großer Hohlraum für einen kleinen Stein. Dort kann er störungsfrei liegen.
Für den Ernstfall, also die Rückkehr des Schmerzes, haben wir einen Schlachtplan geschmiedet, der hilft beiden Seiten und vor allem Herrn M.s Ehefrau.
Was ist schief gelaufen?
Meines Erachtens hätte viel Schmerz und Geld gespart werden können, wäre dem Patienten im Erstversorgungs-Krankenhaus vor allem mit Zuwendung geholfen worden. Schmerzen, peristaltische Wellen, Koliken, Angst, all das hat mit unserer Psyche und unserem vegetativen Nervensystem zu tun. Entspannung und Beruhigung, dazu krampflösende und schmerzstillende Medikamente, sind die entscheidende Therapieelemente nicht nur im Falle eines Nierensteins. Es ist der Wahnsinn der Moderne, dass ein Krankenhaus ohne urologische Abteilung meint, einem Nierenstein-Patienten nicht helfen zu können.
Im Bereich der Zuwendung fehlt es heutzutage selbstverständlich an Personal. Es wird gespart, Kostenstellen werden gestrichen. Für diese Einsparung werden enorme Gelder an anderen Stellen ausgegeben, teure Krankenhausverlegung, überbordende Diagnostik, dann, nach Therapieverweigerung, wieder maximale Therapie. Das ist irrational. Das ist ein Grund für das Finanzproblem im heutigen Gesundheitssystem: Eingesparte Kosten des Einen werden zu Ausgaben eines Anderen. Beide werden nicht miteinander abgeglichen.
Das war der lange Weg eines Nierensteins.
Ach, noch eines:
Herrn M. aus H. geht es bis zum heutigen Tage gut.

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