Ab 1. Oktober soll die Behandlung von Opiatabhängigen mit Diamorphin, medizinisch reinem Heroin, von den Krankenkassen finanziert werden. In der Praxis allerdings gibt es hohe Hürden zu überwinden.
Einrichtungen, die diese Behandlung anbieten wollen, müssen z. B. drei ärztliche Vollzeitstellen (oder z. B. sechs Halbzeitstellen) vorweisen – egal, wie viele Menschen sie behandeln. „Viele Städte werden es gar nicht schaffen, entsprechende Programme und die notwendige psychosoziale Begleitung zu finanzieren“, befürchtet Marco Jesse, Geschäftsführer von Vision e. V., dem Kölner „Verein für innovative Drogenselbsthilfe“.
Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, ergänzt: „Außerdem müssen solche Einrichtungen 12 Stunden am Tag geöffnet sein. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss so durchgesetzt. Dabei hat die Erfahrung gezeigt: Die Leute kommen durchaus zu festgelegten Zeiten, spritzen sich das Medikament und gehen dann wieder. Und wenn sie Beratung brauchen, gehen sie in ihre Drogenberatungsstellen. Hochbezahlte Ärzte dafür bereitzuhalten, erhöht nur unnötig die Kosten.“
Diamorphin-Angebote würden daher voraussichtlich nur in Ballungszentren verfügbar sein, befürchtet Jesse: „Das ist das Ärgerlichste an der jetzigen Lösung: Von einer flächendeckenden und bedarfsgerechten Versorgung sind wir noch weit entfernt.“
Kein „Run“ auf das Angebot zu befürchten
Warum aber sind die Hürden so hoch? „Es gab auf jeden Fall Befürchtungen, dass es einen ‚Run‘ auf die Behandlung geben würde“, sagt der DAH-Drogenreferent. „Aber anders, als man wegen der oft zu hörenden Bezeichnung ‚Heroin auf Rezept‘ glauben könnte, geht man ja nicht einfach in eine Apotheke und holt sich dort Drogen ab. Man muss über 23 Jahre alt sein, mindestens fünf Jahre opiatabhängig sein, körperliche und psychische Begleiterkrankungen aufweisen und zwei erfolglose Suchttherapien hinter sich haben, davon mindestens eine Substitutionsbehandlung.“
Allerdings sind selbst diese Hürden nach Schäffers Schätzungen für 70 bis 80 Prozent der Drogengebraucher kein Problem. Schwieriger sei die Praxis der Diamorphinbehandlung. Marco Jesse erklärt, wie die aussieht: „Du musst praktisch 365 Tage im Jahr täglich zwei- bis dreimal zur Einrichtung kommen“ – das Diamorphin wird im Körper so schnell abgebaut.
Hinzu kommt: Die traditionelle Substitutionsbehandlung, zum Beispiel mit Methadon oder Buprenorphin, und die neue Behandlung mit Diamorphin sind nicht durchlässig: „Es gibt keine Möglichkeit, kurzfristig oder auch nur vorübergehend in die Diamorphinbehandlung zu wechseln. Das wäre aber wesentlich besser, als wenn sich Substituierte wer weiß, was für einen Stoff auf der Straße besorgen.“
Auch die Tatsache, dass das Diamorphin ausschließlich per Spritze verabreicht wird, schrecke viele potenzielle Teilnehmer ab, die ihren Stoff lieber rauchen. „Heroin zu rauchen, ist nicht nur ein Trend, sondern entspricht auch unseren Empfehlungen zum Schutz vor HIV und Hepatitis“, so Schäffer.
Fazit
„Die Übernahme der Diamorphinbehandlung in die Regelversorgung ist ein wichtiger Schritt“, so Schäffers Fazit. „Jetzt kommt es darauf an, sie auch bedarfsgerecht auszurichten.“
(Philip Eicker/Holger Sweers)
Quellen
http://www.bmg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/Drogenbeauftragte/2010/10-07-20-PM-Gedenktag.html
http://www.heroinstudie.de/H-Bericht_FU.pdf