Rationales Fehlermanagement – Oder: Was haben amerikanische Luftwaffenpiloten mit Ärzten zu tun?

Gestern habe ich über den Tod eines Patienten nach einer falschen Bluttransfusion berichtet.
Wie konnte es zu diesem tragischen Zwischenfall kommen?
War es die Schuld eines einzelnen Arztes?
Ist dieser Kollege einfach dumm und unfähig und gehört jetzt dringendst abgewatscht und vielleicht sogar aus der ärztlichen Zunft ausgeschlossen?
Oder war er einfach nur übermüdet?
Waren „Die Umstände“ schuld oder „Die Gesellschaft“ oder „Das System“?
Aber fangen wir noch einmal von vorne an:
Ein Patient liegt auf dem OP-Tisch und hat eine Menge Blut verloren. So war es nämlich in Wirklichkeit, meine Nachtdienst-Geschichte war wieder einmal erstunken und erlogen.
Der Patient braucht eine Bluttransfusion. Ein Anästhesist kümmert sich darum – und macht den verhängnisvollen Fehler, dem Patienten mit der Blutgruppe Null eine Konserve der Blutgruppe A anzuhängen. Die Konserve war für einen anderen Patienten bestimmt.
Halten wir fest:
Jeder, wirklich jeder Arzt weiß, dass man bei Transfusionen höllisch aufpassen muss. Ich gehe mal davon aus, dass auch dem betreffenden Kollegen klar war, was er zu tun und zu lassen hatte. Schließlich ist er ja Anästhesist.
Aber er ist nicht nur Arzt, sondern auch Mensch. Und Menschen machen Fehler.
Maschinen, Roboter und Computer übrigens auch. Tatsache ist: niemals, wirklich niemals wird es möglich sein, ein System zu finden, was wirklich hundertprozentig sicher ist. Man kann es so sicher wie möglich machen: neunundneunzig Prozent, von mir aus auch neunundneunzig Komma neun-neun-neun-neun Prozent, aber ein kleines Restrisiko wird bleiben.
Und wenn etwas passiert, dann hat man mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen.
Eine Option ist die „Russische Methode“ (danke, Kreativarzt für den wunderbaren Kommentar!): Man suche möglichst schnell einen Schuldigen, urteile ihn schnell und medienwirksam ab und schicke ihn nach Sibirien oder sonstwohin. Dann mache man weiter wie bisher. Der Vorteil ist, dass man sonst nichts zu ändern braucht und vordergründig erstmal alle zufrieden sind (abgesehen von dem armen Sündenbock in Sibirien natürlich). Der Nachteil ist: Der Fehler wird wieder passieren. Denn nur in den den allerseltensten Fällen liegt die Ursache wirklich nur bei einer Person.
Man kann auch versuchen, vorurteilslos und nüchtern an die Sache heranzugehen. Man kann versuchen, herauszufinden, woran es wirklich lag und was man ändern könnte. Man kann versuchen, aus Fehlern zu lernen.
Das Zauberwort heißt Fehlermanagment, Fehlerkonferenz oder auf neudeutsch Critical Incident Reporting (weitere englische Synonyme sind: Significant Event Audit, structured case analysis oder facilitated case discussion).
Dahinter verbirgt sich eine Methode, welche ursprünglich im zweiten Weltkrieg von Luftwaffen-Psychologen entwickelt wurde.
Was nun haben amerikanische Luftwaffenpiloten aus dem zweiten Weltkrieg mit deutschen Ärzten im einundzwanzigsten Jahrhundert zu tun?
Mehr dazu morgen.

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