Job-Doping

MedPR: 800 000 regelmäßige Konsumenten greifen zu Psycho- und Neuro-Pharmaka am Arbeitsplatz. Warum „dopen“ sich so viele Menschen?

Karsten Strauß:
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Diesen Satz hat jeder verinnerlicht.
Kein Unternehmen, egal welcher Art, kommt ohne eine Vision und ohne ein Leitbild aus: „Wir stellen bestmögliche Qualität sicher“ ist ein fast obligater Satz. Wenn man sich das genau überlegt: mehr geht eigentlich nicht als „bestmöglich“ und „sicher stellen“. Das bedeutet, dass jeder Mann und jede Frau zu jeder Zeit maximale und fehlerfreie Leistung zu erbringen hat. Und wir glauben diesen Blödsinn auch noch und finden ihn gut. Denn er ist inzwischen so etwas wie eine Lehrmeinung.
Dummerweise gilt er nicht für Maschinen, da würde jeder sofort sagen: geht nicht, jede Maschine kann auch mal kaputt gehen. Nein, er gilt für Menschen. Weil man eigentlich kaum noch etwas anderes hört und am Arbeitsplatz das auch erlebt (im Namen der Qualität, versteht sich), kann es zur inneren Überzeugung werden. Also muss man sich darum kümmern, Leistung zu bringen, wenn sie gebracht werden muss und Ruhe zu finden, wenn Zeit dafür ist. Das richtet sich dann weder nach Tag-Nacht-Rhythmus, nicht nach dem biologischen Wechsel von An- und Entspannung, sondern nach vorgegebenen Takten der zu bewältigenden Aufgaben.
Weil das nur zufällig mit den individuellen biologischen Gegebenheiten zusammen trifft, kommen manche Menschen auf die Idee, dem chemisch nachzuhelfen. Aus Überzeugung, Notwendigkeit, Verzweiflung oder einem Gemisch davon.

MedPR: Welche Substanzen spielen beim Doping am Arbeitsplatz eine Rolle?

Karsten Strauß:
In der DAK-Untersuchung ging es um verschiedene rezeptpflichtige Pharmaka, die prinzipiell in zwei unterschiedliche Richtungen wirken: wach machende, Aufmerksamkeit und geistige Fitness steigernde einerseits und beruhigende, entstressende andererseits. Diese Substanzen werden normalerweise bei bestimmten Krankheiten verschrieben und haben sich dort oft auch bewährt. Weil Pharmaka aber nun einmal chemische Substanzen mit einem Wirkprofil sind, wirken sie auch ohne Indikation. Der eingenommenen Substanz ist es nämlich ziemlich egal, ob sie rezeptiert worden ist oder nicht: sie wirkt. Dafür ist sie gebaut. Leider nicht so genial wie körpereigene Stoffe, deshalb hat sie Nebenwirkungen.

MedPR: Ist dies nur ein momentaner Trend oder wird sich die Zahl in den nächsten Jahren nach Ihrer Meinung noch erhöhen?

Karsten Strauß:
Ich vermute, dass die Pharmazeutische Industrie einige Anstrengungen unternehmen wird, die Nebenwirkungsrate der in Frage kommenden Substanzen zu verringern. Gelingt ihr dies und hält der mediale Trend zum billigenden Verständnis individueller Leistungsanpassungen an, kann ich mir vorstellen, dass der Konsum sich deutlich steigert. Wir dürfen auch nicht so tun, als gäbe es das nicht bereits. Wie wir kurz nach der Jahrtausendwende lernen konnten, durften beispielsweise amerikanische Kampfpiloten nicht fliegen, wenn sie keine so genannten leistungssteigernden Substanzen eingenommen hatten.
Dass die gesellschaftlichen Normierungen sich ändern vermute ich eher nicht, jedenfalls nicht so schnell…

MedPR: Wie sollte man diesem Problem / Phänomen begegnen?

Karsten Strauß:
Ich fürchte, wir haben’s schon verpennt. In unserer Gesellschaft ist ein Trend zum maschinengleichen Funktionieren des Menschen feststellbar, der Besorgnis auslösen kann. Kaum noch etwas, das nicht durch Vorschriften, Normierungen, Leitlinien und Regulierungen auf Linie gebracht werden soll; Gurken ja bekanntermaßen nicht ausgenommen. Immerhin konsequent: die ersten Pflegeroboter werden demnächst auch in Deutschland erprobt.
Es leuchtet ein, dass das am besten unter einem chemischen Schutz erträglich ist.

Vielleicht ist das aber auch gleichzeitig die Chance auf Veränderung: Je mehr konsumiert wird, desto öfter zeigen sich die Nebenwirkungen, die unerwünschten Wirkungen und sogar individuelle Katastrophen. Kann sein, dass das zum Nachdenken anregt…

MedPR: Wie beurteilen Sie die neue DAK-Studie?

Karsten Strauß:
Die Studie hat mit dem Schwerpunktthema Doping am Arbeitsplatz wirklich gutes Material geliefert, um auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam zu machen und dafür zu sensibilisieren. Sie bewertet den Trend nicht über, verniedlicht die Entwicklung aber auch nicht.
Zwei Anmerkungen dennoch: als Zahlengrundlage würde ich mir nicht die von der GKV erstatteten Dosen der Medikamente wünschen, sondern schlicht die Absatzzahlen der Konzerne (weil das, was produziert wird, in aller Regel auch verkauft und konsumiert wird).
Und zweitens: Die Studie hat sich auf einige wenige Trend-Substanzen beschränkt. Die Zahl von rund 800.000 Dauerkonsumenten und insgesamt rund 2 Mio. Gelegenheitskonsumenten ist natürlich beachtlich. Hinzu gerechnet werden müssen aber noch die Konsumenten und die abhängig Kranken, sei es von anderen Medikamenten, von Alkohol oder von illegalen Substanzen oder von allem gleichzeitig.
Denn selbst dann, wenn diese Stoffe nur in der Freizeit konsumiert würden, hätten sie erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Und: der Konsum findet in jeder Hierarchieebene satt. Ich gebe zu, dass Untersuchungen hierzu nicht einfach wären.

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