Nadja Benaissa berichtet in ihren Autobiografie „Alles wird gut“ mit Hilfe der Journalistin Tinka Dippel aufrichtig und spannend aus ihrem Leben mit und ohne HIV, von ihrer Cracksucht und einem nicht immer schönen Leben als Popstar. Eine spannende Bestandsaufnahme und eine sehr feine Medienanalyse.
Über kaum jemandem ist in den letzten zwölf Monaten so ausführlich geschrieben worden, wie über Nadja Benaissa: Sie ist seit etwas mehr als einem Jahr die bekannteste HIV-Positive der Welt. Alle, alle haben sie kommentiert, wie es dazu kam, was dann geschah, warum die anderen rassistische, sexistische Schmierfinken sind, die Persönlichkeitsrechte gegen das Interesse der Öffentlichkeit ausspielten: von BILD bis FAZ, von Spiegel bis Super Illu – Nadja Benaissa war immer für eine Doppelseite gut.
Wann hatte es so was schließlich mal gegeben: Sex und Tod, Ruhm und Geld, Aufstieg und Fall, Liebe und ein potenzielles Verbrechen, eingerollt in den überaus attraktiven Körpers eines deutschen Migrantenkindes. Und singen konnte sie auch noch! Der “Fall“ Nadja Benaissa konnte von allen möglichen Seiten beschrieben werden.
Sex und Tod, Ruhm und Geld, Aufstieg und Fall, Liebe und ein potenzielles Verbrechen
Inzwischen ist im Namen des Volkes Recht gesprochen worden. Ist es da nicht Zeit, das ehemalige Mitglied der No Angels mal in Ruhe sein Leben leben zu lassen? Nicht ganz. Der Logik der medialen Verwertungsmaschine folgend, fehlt noch etwas: der Abschlussbericht. Das finale „Und wie war’s für dich?“ der Betroffenen.
Das liegt mit „Alles wird gut“ nun vor und ist wirklich gut geworden. Die Journalistin Tinka Dippel, die unter anderem die Kunstseite und Porträts in der „Brigitte“ schreibt, hat im Januar 2010 angefangen Nadja Benaissa zu begleiten und zu befragen. Hat ergänzend Kollegen und Feinde, Nadjas Familie und Freunde getroffen und interviewt. War bei den letzten Auftritten der No Angels genauso dabei wie beim Prozess im August. War ganz nah dran, und doch weit genug weg, um den Abstand zu ihrem Objekt zu gewinnen, den sie für eine intelligente Analyse benötigt.
Benaissa selbst kommt ausführlich in O-Tönen zu Wort. Eingebettet sind sie in einen 200-Seiten-Text, der offensichtlich schnell, aber kompetent geschrieben wurde. Eine Edelfeder ist Dippel nicht, aber ein gute Handwerkerin. Und eine feine Medienbeobachterin. Gekonnt benutzt sie im ersten und letzten Drittel des Buches, die sich beide mit Verhaftung, Prozess, Anklage und Urteil beschäftigen, immer wieder die einzelnen Medienstimmen und Benaissas eigene Erinnerungen an die gleichen Ereignisse um unterschiedliche Sichtweisen auf das Geschehen klar zu machen und gleichzeitig die Mechanismen der Maschinerie offenzulegen, aus der es kein Entkommen gab.
Mechanismen einer Maschinerie, aus der es kein Entkommen gab
Trotzdem ist der Mittelteil des Buches der spannendste, weil Dippel hier völlig ohne falsche Rührseligkeit erzählt: Aus Benaissas Kindheit als Kind eines Marokkaners und einer Serbin in Deutschland, vom braven Kind und vom rebellischen kiffender Teenager, über ihre Zeit als erfolgreiche Sportlerin und als jugendliche Cracksüchtige, von der Schwangerschaft mit 16. Vom Casting für die No Angels, vom Erfolg, vom Misserfolg, von viel Geld und großen Schulden. Und immer wieder davon, was für ein Stehaufmännchen Benaissa ist. Das liest sich nicht immer schön aber immer aufrichtig und ist mit vielen privaten Fotos aus den jeweiligen Zeitabschnitten illustriert.
Der stakkatohafte „Und dann geschah das, und dann geschah das, und dann das“-Stil, den die Autorin hier benutzt, macht Benaissas nachträgliche Erklärungsversuche ihrer oft unbewussten Entscheidungen umso spannender, weil sie als emotionale Schlaglichter eine komplett versachlichte Beschreibung erhellen. Das ist auch und gerade beim Thema HIV so, mit dem die langzeitinfizierte Benaissa rückhaltlos ehrlich umgeht.
Wer in „Alles wird gut“ frischen Klatsch sucht, wird zwar bedient, aber nicht ganz so, wie er sich das vielleicht vorstellt. Immer wieder erfährt man Dinge, die man nicht wusste: was genau Nadja in der 10-tägigen Haft getan und empfunden hat, die ihrer Verhaftung folgte, wie sie selbst ihre Infektion jahrelang verdrängt hat, wie die Band-Kolleginnen ihr Stütze und Überforderung zugleich waren, wie ihr Positivsein für sie die letzte Bastion war, um sich der Öffentlichkeit nicht völlig auszuliefern. Warum es jetzt trotzdem gut ist, dass sie sich damit nicht mehr verstecken muss. Wie sehr sie ihr Kind liebt.
„Endlich mal was, hinter dem ich musikalisch stehen kann.“
Im nächsten Jahr will Nadja Benaissa nach Berlin ziehen und ein Album mit Rio-Reiser-Songs aufnehmen: „Endlich mal was, hinter dem ich musikalisch stehen kann.“ Es ist Zukunft geplant, und viel davon. Ob wirklich alles gut wird für den Menschen Nadja Benaissa, ist schwer zu sagen. Nach der Lektüre ihrer Biografie weiß man aber, dass schon vieles besser ist.
(Paul Schulz)
Nadja Benaissa mit Tinka Dippel „Alles wird gut“, edel books, 207 Seiten, 19,95 Euro