Papst Benedikt XVI. rückt vom strikten Kondomverbot ab: ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Aufreger in der katholischen Welt. Philip Eicker kommentiert die Veröffentlichung des Vatikans und das Echo in den Medien
Papst Benedikt XVI. findet Kondome gar nicht so sündhaft – zumindest nicht, wenn sie ein Stricher verwendet. Diese überraschende Erkenntnis offenbart ein ausführliches Interview, das der oberste Katholik mit dem Journalisten Peter Seewald geführt hat. Am 24. November erscheint es unter dem Titel „Licht der Welt“ als Buch.
Der Einsatz eines Gummis könne das kleinere Übel sein, so der Papst, um die Ansteckungsgefahr mit HIV zu verringern. Als Beispiele nennt er ausgerechnet Stricher. Zitat: „Es mag begründete Einzelfälle geben, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will.“ Insofern bleibt Benedikt der Linie seines Vorgängers treu: Sex ist nur in der Ehe okay, Kondome sind keine „wirkliche und moralische Lösung“.
Trotzdem ist das Medienecho enorm. Denn mit dieser Aussage rückt der Papst erstmals von der strengen Anti-Kondom-Richtlinie des Vatikans ab. Noch 2009 hatte Benedikt auf einer Afrika-Reise bekräftigt, die Ausbreitung von HIV könne nicht mit Kondomen gelöst werden. „Das ist eine gute Nachricht“, lobt nun die Generaldirektorin der Weltgesundheitsbehörde (WHO) Margaret Chan. Auch in der katholischen Kirche wurde das Signal mit Erleichterung aufgenommen: „Vielleicht wird dadurch deutlich, dass der Papst doch nicht so abgehoben von der Welt lebt, wie manche dachten“, hofft der Theologe Eberhard Schockenhoff. Künftig könnten lehramtliche Äußerungen zur Sexualmoral nur noch schwer hinter das zurückfallen, was der Papst gesagt habe, so Schockenhoff im Kölner Domradio.
Den deutschen „Laien“ dagegen geht das Zugeständnis des Heiligen Vaters noch nicht weit genug. Christian Weisner von der Bewegung „Wir sind Kirche“ nennt die Begrenzung des Kondomgebrauchs auf Prostituierte gar einen „Affront gegen alle katholischen Eheleute“, die selbstverständlich ebenso verantwortungsvoll Safer Sex haben könnten. „Was dringend nötig und längst überfällig ist, das ist eine Neuausrichtung der katholischen Sexualmoral.“
In der katholischen Kirche reißt die vorsichtige Kurskorrektur tiefe Gräben auf. „Es handelt sich nicht um eine Revolution“, versicherte eilig der vatikanische Pressechef Federico Lombardi. Seine konservativen Glaubensgenossen empören sich dennoch, dass die Vatikanzeitung Osservatore Romano aus dem ausführlichen theologischen Gespräch ausgerechnet die Sex-Passagen zitiert – noch dazu in falscher Übersetzung: Im deutschen Original hatte der Papst von männlichen Prostituierten gesprochen, der Osservatore jedoch hatte die weibliche Form gewählt, die weitaus mehr Menschen einbezog. „In einer so delikaten Frage kommt das einem schwerwiegenden Fehler gleich“, kritisiert das konservative Online-Portal Katholisches. „Wenn überhaupt von Kommunikationsstrategien zu sprechen sein sollte, so gingen sie gehörig daneben.“
Näher liegt eine andere Deutung: Im Vorfeld der Veröffentlichung von „Licht der Welt“ orchestriert der Vatikan eine fulminante Werbekampagne. Das Zwiegespräch erscheint weltweit gleichzeitig in Vorabdrucken – in Deutschland fiel die Wahl auf Focus und das Titten-und Tatort-Blatt Bild am Sonntag. Beide Publikationen zeigten sich erkenntlich: Focus dekoriert das Gespräch mit doppelseitigen Fotos, präsentiert Benedikt in Castel Gandolfo als philosophierenden Spaziergänger mit weißer Baseballmütze. Ist im Interview von Gott die Rede, so wird „Er“ in theologischer Tradition großgeschrieben. Zudem erfährt die staunende Welt, dass der Papst abends gerne „Don Camillo und Peppone“ guckt.
Passend zum italienischen Filmklassiker fehlt in keinem Bericht der Hinweis, dass Interviewer Peter Seewald „in jungen Jahren Kommunist“ gewesen sei. Der Kontrast soll dessen Stichwortgeberei kaschieren, bestätigt aber nur den Verdacht, dass der erfolgreiche Buchautor noch immer verzweifelt nach einem hermetisch geschlossenen Weltbild sucht.
„Ist man als Journalist nicht furchtbar nervös, wenn man dem Papst gegenübersitzt?“, fragt Bild bei Seewald nach. Aber nein, erwidert der: „Er macht es einem mit seiner liebenswürdigen Art leicht.“
Liebenswürdiger kann auch ein Journalist nicht mit einem mächtigen Mann umgehen – und mehr Home-Story war mit dem spröden Joseph Ratzinger wohl nicht zu machen. Aber nach den verheerenden Meldungen über vertuschte Missbrauchsfälle an katholischen Schulen sah sich der öffentlichkeitsscheue Papst offenbar zu einer Medienoffensive genötigt. Nach dem PR-Desaster rund um den Holocaust-Leugner Richard Williamson (O-Ton Benedikt: „Leider hat bei uns niemand im Internet nachgeschaut.“) wollte der Vatikan nun alles richtig machen und ist dabei wohl über das Ziel hinausgeschossen. Es solle wohl unter allen Umständen „ein Bestseller kreiert“ werden, vermutet Benedikts bekanntester Kritiker Hans Küng im Interview mit der Süddeutschen und urteilt hart: „Es ist sehr merkwürdig, diese wichtige Frage im Gespräch mit einem Hofjournalisten zu erörtern. Das ist für einen Papst nicht angemessen.“
(Philip Eicker)
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„Licht der Welt: Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald“, erscheint am 24. 11. im Herder Verlag
Umfangreiche Materialsammlung zum Papst-Interview unter www.domradio.de
Der katholische Religionswissenschaftler Hans Küng zur Kondompolitik des Papstes auf süddeutsche.de