Fehlinformiert?

Einer der skurrilsten Momente im Ferienlager…

Wir haben von jedem Kind eine sehr ausführliche Elterninformation vorliegen, in denen Vorerkrankungen, Allergien, Medikamente, Telefonnummer vom Haus- bzw Kinderarzt usw. drinstehen.
Also wirklich sehr ausführlich.

Weil ich meinen Job dort ernstgenommen habe und keine unangenehmen Überraschungen erleben wollte, hab ich mir an jedem Anreisetag die Mühe gemacht, sämtliche Elterninformationen nach Krankheiten und Allergien durchzuarbeiten, die Medikamente mit dem Namen des jeweiligen Kindes zu versehen (danke, liebe Eltern, dass ihr nicht selber auf diese Idee kommt!) und die Krankenkassenkarten zu sortieren.
Bei teilweise mehr als 300 Kindern pro Woche ein durchaus zeitintensives Unterfangen. *g*

Es gab eigentlich jede Woche ein paar ‘spannende’ Kinder, mit denen ich mich dann noch am ersten oder spätestens am zweiten Tag im Sanizelt zusammengesetzt hab um mit ihnen zu reden und rauszufinden, wie gut sie mit ihrer Krankheit zurechtkommen, ob sie Medikamente dabeihaben, die nicht von den Eltern abgegeben wurden usw.

Tja, und wenn dann in einem Elterninformationsschreiben unter ‘Krankheiten’ drinsteht Herzfehler (Long QT-Syndrom), dann ist dieses Kind eindeutig ein Kandidat für ‘Ich treff mich mal mit Kind und Betreuer im Sanizelt’. Meine Chefin hielt das auch für eine ganz hervorragende Idee, und nachdem wir beide ein wenig über diese Elterninformation geschimpft haben (weil wirklich nur das drinstand, und keine weiteren Angaben ob das Kind Medikamente dabei hat oder sonstwas), hab ich mir den Namen der Betreuerin rausgesucht, Namen des Kindes auf nen Zettel geschrieben und mich auf den Weg gemacht, um mit ihr einen Termin zum ‘mal nachfragen’ zu machen.

Gesagt, getan. Noch am selben Abend trafen wir drei uns in meinem Sanizelt und verteilten uns zum gemütlichen Sitzkreis auf die Feldbetten.
Weil ich ja nicht so der Typ bin, der mit der Tür ins Haus fällt, hab ich mich erstmal nett vorgestellt und überprüft, ob wir das richtige Kind im Zelt hatten (“Hi, ich bin die Hermione, und ich bin hier im Camp eure Sanitäterin – Du bist der [Name des Kindes]?”), das Kind erstmal smalltalkmäßig über seine Anreise befragt und wie es ihm bis jetzt bei uns gefällt, um dann langsam auf das eigentliche Thema überzuleiten.

Hermione: “Ich wollte Dich mal fragen, wie’s Dir gesundheitlich so geht.”
Kind: “Gut.”
Hermione: “Du hast da ja eine Krankheit…”
Kind: “Ach, Du fragst wegen meiner Katzenallergie?”
[Betreuerin und ich gucken uns an.]
Hermione: “Deine Katzenallergie??”
Kind: “Ja, aber die ist nicht so schlimm.”
[Ich werf schnell nen Blick auf den Zettel mit dem Namen des Kindes.]
Hermione: “Dann ist ja gut… Hier sind ja auch keine Katzen. Und von Deiner Katzenallergie mal abgesehen?”
Kind: “Sonst hab ich nichts, nur die Allergie.”
[Betreuerin und ich wechseln einen irritierten Blick]
Hermione (zur Betreuerin): “Haben wir das falsche Kind?”
Kind: “Das glaub ich auch – ich hab nur ne Katzenallergie, sonst nix!”
Hermione: “Wie war nochmal Dein Name?”
Kind: “[Name des Kindes]“
Hermione: “Okay, danke. Du kannst dann wieder zu Deiner Gruppe zurück!”

Nachdem das Kind dann zu seinen neuen Freunden gerannt ist, haben die Betreuerin uns noch eine Weile sehr verwirrt angesehen. Das war ja durchaus ein seltsames Gespräch. Wir hatten beide den Verdacht, dass das Kind womöglich gar nichts von seinem Herzfehler wusste (was bei nem Elfjährigen schon … weniger gut wäre), und haben vereinbart, dass sie dem Jungen irgendwie weismachen soll, dass ich mich wirklich nur nach seinen Allergien erkundigen wollte, während ich zurück zum Büro getapert bin, um nochmal die Elterninformation rauszusuchen und mit meiner Chefin über das merkwürdige Gespräch zu reden.

Wir hatten tatsächlich das richtige Kind im Zelt…
Chefin teilte meine Einschätzung, dass das Kind vielleicht gar nicht Bescheid wusste, und rief kurzerhand die Mutter an. Knapp die Situation geschildert (“Unsere Sanitäterin hat in der Elterninformation von dem Herzfehler ihres Sohnes gelesen und wollte sich gerade mit ihm darüber unterhalten, aber er schien gar nicht zu wissen, worum es geht?”), zugehört, mir nen irritierten Blick zugeworfen, weiter zugehört, von mir gewünschte Informationen erfragt, kurz geplaudert und gelacht, aufgelegt.

Der Junge wüsste sehr wohl über seinen Herzfehler bescheid, die Mutter versteht selber nicht so ganz, warum er das nicht erwähnt hat. Allerdings hätte sie nicht erwartet, dass wir ‘da so hinterher sind’ und uns mit den Kindern zusammensetzen, um zu erfahren wie sie mit ihren Krankheiten klarkommen. Eigentlich hätte sie nicht mal erwartet, dass wir die Elterninformationen lesen.

Ähm. Dafür werden die Dinger doch ausgefüllt, damit wir Bescheid wissen.

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