Menschen können nicht illegal sein!

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Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

In Glasgow ging gestern (11.11.) die zehnte internationale Konferenz zur medikamentösen Behandlung der HIV-Infektion zu Ende. Auch dieses Mal hat die HIV-Community eine „Session“ dieser Konferenz eigenständig geplant und durchgeführt, und zwar zum Thema HIV-Therapie und Migranten. Lesen Sie hierzu einen Bericht von Peter Wiessner:

Wie bereichernd die Beteiligung von Community-Vertretern sein kann, zeigt die internationale HIV-Konferenz in Glasgow. Hier ist es eine gute Tradition, dass die Community eine „eigene“ Session einreicht, plant und durchführt. Auf diese Weise kann sie Themen auswählen, die für sie besonders relevant sind. Hut ab vor den Organisatoren der Konferenz, welche die Beteiligung der Community ernst nehmen und wertschätzen!

Für die Community-Session auf der diesjährigen Konferenz haben Vertreter der European Aids Treatment Group (EATG) das Thema „Behandlung von Migranten mit HIV“ ausgewählt. Migration ist ein weltweites Phänomen. In Europa führt eine zunehmend restriktiver werdende Gesetzgebung dazu, dass mehr und mehr Migranten, Asylsuchende oder Undokumentierte vom Versorgungssystem ausgeschlossen und stigmatisiert werden bzw. sich verfolgt fühlen. Eine Konsequenz der strukturellen Benachteiligung von Migranten ist, dass sie ein erhöhtes HIV-Risiko haben und HIV-Infektionen bei ihnen oft viel zu spät diagnostiziert werden. Das ist nicht verwunderlich, vor allem dann nicht, wenn unklar bleibt, welche rechtlichen Konsequenzen ein HIV-Testergebnis haben kann oder wenn relevante Informationen nicht erhältlich sind. 31 Länder deportieren Menschen mit HIV, und in mehr als 60 Ländern bekommen Menschen mit HIV keine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeitsaufnahme.

Auf HIV testen, wenn Ausgrenzung und Abschiebung drohen?

Die Teilnehmer/innen der Session näherten sich dem Thema aus verschiedenen Blinkwinkeln. Julia del Amo aus Spanien ging auf die epidemiologische Datenlage und auf die Frage der HIV-Testung von Migranten ein. Kann man diesen die Testung wirklich empfehlen, wenn unklar ist, welche Konsequenzen ein positives Testergebnis nach sich zieht? Wenn statt Zugang zur Therapie Ausgrenzung und möglicherweise Abschiebung die Folge sind? Und welche Verantwortung hat die wissenschaftliche Begleitforschung? Zum 1. Dezember will das europäische Beobachtungszentrum für übertragbare Infektionen (ECDC) die Ergebnisse einer Studie und Empfehlungen veröffentlichen, auf die man gespannt sein darf: Erwartet wird ein klares Statement, dass auch undokumentierte Migranten bei einem positiven HIV-Test der Zugang zur HIV-Therapie ermöglicht werden muss, falls erforderlich.

Nicht in die Kulturfalle tappen!

Die Pariser Ärztin Sophie Materon ging in ihrem Beitrag auf die Behandlung von Migranten ein. Hier spiele die Therapie von Ko-Infektionen wie Tuberkulose, Hepatitis oder Malaria eine übergeordnete Rolle. Sprachprobleme stellten bei der Behandlung zwar eine Herausforderung dar, die Bedeutung der kulturellen Einflussfaktoren auf die Behandlung werde jedoch überbewertet: Ihrer Beobachtung nach treffe das Vorurteil der Mehrheitsgesellschaft, Migranten seien weniger „therapietreu“, nicht zu. Im Gegenteil: Bei Migranten könne die Therapietreue (also die Befolgung der Einnahmevorschriften) deutlich besser sein als bei anderen Patientengruppen. Wichtig sei es daher, nicht in die „Kulturfalle“ zu tappen – und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, was wirklich nötig sei, zum Beispiel mehr Wissen und migrantenspezifische Forschung in Bezug auf neurologische Krankheitsbilder der HIV-Infektion.

Ärzte mögen sich dem hippokratischem Eid verpflichtet fühlen – Krankenhausverwaltungen nicht

Kadri Soova aus Belgien stellte in ihrem Beitrag die Arbeit des Netzwerkes für undokumentierte Migranten in Europa (PICUM) vor. Deutlich wurde, wie unterschiedlich die Behandlung von Menschen ohne Papiere in Europa geregelt ist. Spanien und Italien haben wohl die beste Gesetzgebung mit gleichgestelltem Zugang, andere Länder bieten „aus humanitären Gründen“ nur Notfallmedizin an, wenn überhaupt. Behandelnde Ärzte stehen hier vor großen Herausforderungen. Wenn sie sich dem hippokratischen Eid verpflichtet fühlen, heißt das nicht unbedingt, dass das die Krankenhausverwaltung auch tut – welche das Budget verwaltet und unter Umständen sensible Daten an Behörden und Polizei weitergibt. Im Zentrum des Ringens um Behandlungsmöglichkeiten für Migranten steht die Einforderung von Gesundheit als Menschenrecht. Menschen können nicht illegal sein, weshalb wir auch von „undokumentierten“ und nicht von „illegalen“ Migranten sprechen sollten.

Die Community-Session wurde von Stefan Stojanovik aus Mazedonien und Alain Volny-Anne aus Frankreich geleitet. Herzlichen Glückwunsch!

Peter Wiessner

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