von Dr. med. Bernd Hontschik (Frankfurter Rundschau, 4.12.2010)
Vor zwei Wochen ging in Düsseldorf die Medizinmesse Medica zu Ende. Bei 137200 Besuchern in vier Tagen muss sich zwar nicht gleich ganz Deutschland dafür interessieren, aber immerhin handelt es sich hier um die größte Medizinmesse der Welt, besser gesagt: um die größte Messe für Medizintechnik der Welt.
Die Hälfte der Besucher kam aus dem Ausland, aus mehr als 100 Nationen. “Wer nach Düsseldorf reist, ist ein Entscheidungsträger von besonderer Qualität”, frohlockt Medica-Geschäftsführer Joachim Schäfer und schreibt in seiner Pressemitteilung: “Die Hersteller von Medizintechnik und Medizinprodukten verspüren kräftigen Rückenwind für ihre Geschäfte.” Gute Laune in allen Hallen.
Unsere Bundeskanzlerin hielt sogar die Eröffnungsrede und bezeichnete die Medica als “eindrucksvolles Schaufenster der Gesundheitswirtschaft”. Ich würde mich ja so gerne mitfreuen.
Als niedergelassener Arzt bin ich jeden Tag mit Kürzungen, Beschränkungen und Regressdrohungen konfrontiert. Meine Patienten müssen für nahezu jede medizinische Behandlung einen Eigenanteil zuzahlen, für jedes Medikament, jede Physiotherapie, jeden Tag Aufenthalt im Krankenhaus, jeden Krankentransport. Die Beiträge zur gesetzlichen und privaten Krankenversicherung steigen stetig. So büßen Ärzte und Patienten jeden Tag für das Märchen von der Kostenexplosion. Da ist keine gute Laune in allen Wartezimmern, eher Gereiztheit und dicke Luft. Wie kommt es zu diesem himmelweiten Unterschied?
Nehmen wir die elektronische Gesundheitskarte. Die FDP hat ihren Gesundheitsminister deswegen zunächst von einem Moratorium sprechen lassen, denn der Schutz der “hochsensiblen Daten” erfordere “hohe Datenschutzstandards”. Das ist ein Jahr her – und vergessen. Die Online-Anbindung der Arztpraxen wird jetzt Pflicht. Jeder der 112660 niedergelassenen Ärzte in Deutschland wird 850 Euro erhalten, um ein neues Kartenlesegerät anzuschaffen. Das macht 100 Millionen Euro. Wer wird das bezahlen?
Bei jedem Arztbesuch werden damit die Patientendaten mit der Krankenkasse abgeglichen. Wussten Sie das? Jede Krankenkasse, die bis Ende 2011 nicht mindestens zehn Prozent ihrer Mitglieder mit der elektronischen Gesundheitskarte ausstattet, wird mit Strafzahlungen bis zu 200 Millionen Euro bedroht. Ist das nicht genial? Die neue Karte soll noch dazu eine Bezahlfunktion enthalten, damit die Praxisgebühr direkt vom Bankkonto abgebucht werden kann. Was für ein Fortschritt!
Lieber gut gelaunt in der Messehalle statt krank und schlecht gelaunt im Wartezimmer – wenn man die Wahl hätte.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Link zum Artikel (pdf).