Glatteis

Irgendein Montag morgen, irgendwo in Deutschland, mitten im Dezember. Draussen hat es die letzen Nächte geschneit und die Temperaturen liegen weit unter Null, es ist höllisch glatt.

„Ziep-zieeep-zieeeep“, Monikas Wecker klingelt um exakt 05:30 Uhr. Tief verschlafen und noch nicht wirklich wach drückt Monika noch einmal den Snooze-Button auf ihrem Wecker. Fünf Minuten später klingelt der wieder und Monika steht notwendigermaßen aus ihrem Bett auf. Die Arbeit ruft schließlich, die Patienten in der Arztpraxis müssen versorgt werden und Frau Doktor hat es gerne, wenn ihre Arzthelferinnen, so wie Monika, vor ihr da sind und schon mal alles vorbereiten. Mit verschlafenen, schmalen Augen starrt Monika in den Spiegel und beginnt sich frisch zu machen, anzuziehen und in die Woche zu starten. Das Frühstück fällt heute für sie aus, es ist schon sechs Uhr und sie muss um viertel vor sieben in der Praxis sein. Und weil es draussen gefroren hat, muss sie auch noch das Auto freikratzen…,es artet schon wieder alles in Stress aus, denkt sich Monika.

Zeitgleich als Monika aus der Haustür tritt, klingeln auf der Rettungswache von Rettungsdienstblog ebenfalls die Wecker. Allerdings haben die hier Schlafenden diese Nacht nicht wirklich geschlafen. Davon haben sie vier Einsätze nach Mitternacht abgehalten. Aber es ist ja bald Feierabend, nur noch anderthalb Stunden, bis dann um halb acht die Schicht vorbei ist. Mit schmalen Augen und mit der anstrengenden Nacht in den Knochen steht Rettungsdienstblog auf und kocht das Lebenselixier der Wache, Kaffee. Langsam strömt der Duft von heißem Kaffee durch die Wache und die Kollegen finden sich nach und nach in der Küche ein.

„Mist, es wird immer später. Jetzt aber mal los“, sagt Monika, als sie ins Auto einsteigt, dass jetzt Eisfrei und aufgewärmt ist. Beim Rückwärtsfahren schlittert sie das erste Mal, merkt das es verdammt glatt ist. Aber es nützt alles nichts, die Arbeit ruft.

Monika ist inzwischen auf der Landstraße angekommen, sie hat die Hälfte des Weges schon um und scheint es doch noch pünktlich zu schaffen. 50 Meter vor ihr erkennt sie wie ein Reh über die Straße rennt und versucht zur anderen Straßenseite zu gelangen. Instinktiv tritt Monika auf die Bremse und führt eine Vollbremsung durch. Leider vergisst sie dabei, wie glatt heute Morgen die Straßen sind. Monika verliert die Kontrolle über das Auto und schlittert über die Straße, rein in den Straßengraben. Dabei beginnt sich ihr Auto zu überschlagen. Ihr Auto wird erst von einer alten, dicken Eiche gestoppt.

Stille, im Hintergrund hört man nur die nachlaufenden Räder von Monikas Auto. Irgendwann bleiben auch diese stehen und die Stille ist immer noch da. Erst ein nachfolgendes Auto zerreißt nach einigen Minuten diese Stille und hält am Straßenrand an. Der Fahrer hat nur die Spuren des Unfalls gesehen und setzt den Notruf ab.

„Piiiep, Piiiiiiep, Piiiiiiep“, der Ton unserer Melder zerreißt die Ruhe in der Küche.

„VU, vermutlich eingeklemmte Person, Bramser Landstr.“

Sofort stellen Rettungsdienstblog und Manni ihre Kaffeetassen ab und stehen auf. Im Flut treffen beide ebenfalls den NEF-Fahrer. Während sich der RTW auf dem Weg zur genannten Einsatzstelle macht, muss das NEF noch am benachbarten Krankenhaus vorbeifahren, den Notarzt einsammeln und kommt dann nach. Die ersten Minuten wird der RTW also auf sich alleine gestellt sein.

Monika ist tief bewusstlos, sie hängt seitlich in den Gurten ihres PKW, der auf der Fahrerseite liegt. Aus ihrem Ohr tropft Blut und ihr Körper ist unnatürlich verkrümmt. Der Autofahrer, der den Notruf abgesetzt hat, ist inzwischen zu ihrem Auto gelaufen und versucht Monika zu helfen. Er kommt aber nicht an sie heran und muss hilflos auf die Feuerwehr und den Rettungsdienst warten.

Zeitgleich mit dem RTW treffen die Fahrzeuge des parallel alarmierten Rüstzuges an der Einsatzstelle ein. Rettungsdienstblog und Manni steigen aus und schnappen sich aus dem Fahrzeug ihr Equipment: Defibrillator, Medumat, Absauge, Notfallkoffer, Trauma-Tasche. So voll bepackt kämpfen sie sich durch den Schnee und das Dickicht zu Monika durch. Am Auto steht schon der Einsatzleiter der Feuerwehr und erkundet die Lage. Er lässt Stabilisationsmaterialien für Monikas Auto bringen und sichert den PKW. Rettungsdienstblog klettert durch die zerstörte Heckscheibe und versucht sich einen ersten Überblick über Monikas Gesundheit zu bilden. Im Hintergrund hört er das NEF, welches nun an der Einsatzstelle eintrifft.

„Wie sieht es aus“, fragt der diensthabende Notarzt Dr. Michel.

„Nicht gut. GCS von 5, V.a. offenes SHT, V.a. Wirbelsäulentrauma. Wir sollten sie so schnell wie möglich befreien, das wird aber schwierig, weil sie anscheinend mit ihren Füßen eingeklemmt ist,“ resümiert Rettungsdienstblog und gibt somit eine kurze Übergabe an den Notarzt.

Manni reicht den Defibrillator in das Auto herein, mit dem Gerät kann man auch ein EKG schreiben, den Blutdruck messen und die Sauerstoffsättigung bestimmen…alles Sachen, die jetzt notwendig sind. Dr. Michel gibt die Anweisung alles für die schnellstmögliche Rettung vorzubereiten und greift sich einen Larynxtubus aus dem Notfallkoffer. „Wir intubieren in Kürze.“

Der NEF-Fahrer, Heinz, bespricht sich in dieser Zeit mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr und plant die technische Rettung von Monika. Er lässt Schere und Spreizer vorbereiten und lässt die Einsatzstelle ausleuchten.

„Sättigung 90% bei einer Freuquenz von 120, Blutdruck bei 90/60. Pupillen sind eng und reagieren auf Licht,“ Rettungsdienstblog gibt die Ergebnisse der ersten Untersuchungen an den draussen stehenden Dr. Michel weiter. Dieser reicht im verschiedene Spritzen, gefüllt mit Medikamenten, die Monika nun in die Narkose versetzen sollen ins Auto. Danach intubiert Rettungsdienstblog Monika mit dem Larynxtubus. Beileibe keine Idealbedingungen, aber es nützt alles nichts. Monikas Atemwege müssen gesichert werden. Normalerweise wäre die Intubation Aufgabe von  Dr. Michel gewesen, doch er kennt seine Rettungsassistenten und ihr Können, schließlich ist er schon seit Jahren Notarzt in der Stadt und weiß, wem er was zutrauen kann.

Nachdem Monika nun intubiert ist, wird eine Decke und ein Helm für Monika von hinten hereingereicht, sie sollen Monika schützen, während Feuerwehrleute draussen eilig das Dach des Autos abtrennen und so Monika aus dem Auto befreien wollen. nach ein paar Minuten ist das Dach abgetrennt. Nun kann Rettungsdienstblog, zusammen mit Dr. Michel erkennen, das Monika zum Glück doch nicht eingeklemmt ist.

Von hinten kommt Heinz wieder, er hat mit der Leitstelle telefoniert und schüttelt den Kopf: „Kein RTH zur Verfügung, das Wetter ist zu schlecht. Wir müssen sie transportieren.“

Nachdem Monika nun besser zu erreichen ist, kann sie aus dem Auto befreit werden. Mit Hilfe der etlichen Feuerwehrmänner wird Monika mit einem Spineboard achsengerecht aus dem Auto gehoben und auf eine Vakuummatratze gelegt. Schnell wird sie in den warmen RTW gefahren. Dort setzt Dr. Michel die Untersuchungen fort.

„Meldet ihr uns mal im *Krankenhaus der Maximalversorgung* an, Voranmeldung: weiblich, ca. 25 Jahre, Z. n. VU, Polytrauma, intubiert und beatmet,“ meldet uns Heinz im Krankenhaus an. Nun wird die Leitstelle im Krankenhaus anrufen und dort mit dieser Anmeldung für Stress sorgen. Ärzte etlicher Fachrichtungen werden ausgerufen werden, die Röntgenabteilung wird reserviert, ein CT wird reserviert, der OP wird informiert, kurz: Die Schockraum-Kette wird in Gang gesetzt.

Mit Blaulicht und Martinshorn machen sich das NEF und der RTW auf den Weg, aufgrund des Wetters können sie aber nicht allzu schnell fahren. Nichts wäre schlimmer als jetzt ein eigener Unfall.

Nach fünfzehn Minuten trifft die Combo im Schockraum ein und Dr. Michel macht eine detaillierte Übergabe, während Rettungsdienstblog und Manni, zusammen mit diversen Pfleger; Monika von der Fahrtrage auf die Krankenhaustrage umlagern und neu verkabeln. Etliche Hände wuseln nun um Monika herum und tasten ihren Körper ab, kleben Elektroden, legen Zugänge…es sieht alles unkoordiniert aus, doch in Wirklichkeit weiss jeder, was er macht und es ist klar durchstrukturiert. Monika ist nun in den Händen der Ärzte, die nun die nächsten Stunden, Tage, Wochen um ihr Leben kämpfen.

Erst jetzt fällt all die Anspannung und Konzentration von Rettungsdienstblog ab. Er kennt Monika, sie war eine Mitschülerin von ihm in der Oberstufe und war mit ihm gut befreundet. In den letzten Jahren hatten sie sich aus den Augen verloren und der Kontakt war ein wenig eingeschlafen. Rettungsdienstblog rollen Tränen übers Gesicht…

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