Schweizer Bundesamt für Gesundheit will mit fragwürdigen Strategien die Zahl der HIV-Infektionen bis 2017 halbieren
“Sie haben ungeschützt mit Herrn XY gevögelt. Er ist HIV-positiv. Vereinbaren Sie doch bitte vertrauensvoll mit unserer Beratungsstelle einen Termin zu ihrem HIV-Test und bringen Sie eine Liste Ihrer Sexualpartner für die weitere Bearbeitung mit.“ Auf den Kern reduziert, könnte so eine SMS der Schwulenberatung Checkpoint in Zürich aussehen, wenn Ihr letzter One Night Stand dort positiv getestet wurde.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im schweizerischen Bern hat sich als Ziel die Halbierung der Neuinfektionen bis 2017 und einen „kulturellen Wandel“ im Umgang mit den Krankheiten gesetzt, wie Roger Staub, zuständig für Prävention und Promotion im BAG, sagte. „Es soll selbstverständlich sein, dass positiv getestete Personen freiwillig ihre Angehörigen informieren“, erklärte er, wie der Tagesanzeiger Schweiz zum Welt Aids Tag berichtete. „In Zusammenarbeit mit Organisationen und Fachstellen will das BAG künftig die Angehörigen von Patienten informieren – allerdings nur, falls diese einverstanden sind. Staub berichtete von einem Angebot für Homosexuelle der Zürcher Aids-Hilfe: Werde ein Mann in der Anlaufstelle ‚Checkpoint’ positiv auf HIV getestet, biete die Stelle an, sämtliche Sexualpartner per SMS oder E-Mail zu informieren. So sollen weitere Ansteckungen vermieden werden.“
Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker wundert sich, warum sich eine Aidshilfe darauf einlässt. „Sie verspielt damit das Vertrauen, auf dem ihre Präventionsarbeit basiert. Man sollte sich keine Illusionen machen. Dieses Angebot wird als soziale Kontrolle und als Druck empfunden werden. Und darauf haben die AIDS-Hilfen aus guten Gründen bisher verzichtet.“
Klaus Stehling, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Hessen, weist darauf hin, dass die Schweizer Aidshilfen, anders als die deutschen, keine Selbsthilfeorganisationen sind, und erklärt „Für den allergrößten Teil der HIV-Infizierten ist die Diagnose auch heute noch ein fast traumatisches Erlebnis. Es ist eine wichtige Aufgabe von Aidshilfe, Betroffene darin zu unterstützen, dieses Erleben zu verarbeiten. Hierzu gehört es, die Fähigkeit autonomer Entscheidung zu stärken oder überhaupt erst einmal wiederherzustellen. Sollte es so sein, dass Beratungsstellen in einer akuten Krise moralischen Druck ausüben, tun sie genau das Gegenteil. Die Entscheidung darüber, wer wann in welcher Form zu informieren ist, muss in jedem Fall bei der oder dem Betroffenen liegen. Natürlich ist es wünschenswert, wenn Menschen in der Lage sind, offen über HIV mit ihren Sexualpartnern zu kommunizieren. Und es gehört seit langem zum Beratungsinhalt der Aidshilfen, nach positiven Testergebnissen anzubieten, bei Gesprächen mit Partnern hilfreich zur Seite zu stehen. Aber jemanden mit einer lebensverändernden Diagnose zu konfrontieren und möglichst im gleichen Gespräch dafür zu sorgen, dass diese Information nicht etwa durch den Betroffenen selbst ,sondern stellvertretend durch eine staatlich finanzierte Beratungsstelle in eine nicht zu kontrollierende Öffentlichkeit gerät, ist doch harter Tobak.“
Roger Staub suggeriert durch seine Sprache, dass es etwa darum ginge, „Angehörige“ zu informieren. Das macht man aber wohl besser im Gespräch am Küchentisch. Es geht um Sexpartner. Und genau so lieblos, wie mancher sexuelle Kontakt sein kann, soll ungefragt Menschen in eine nicht bekannte Situation per Kurzmitteilung der Warnhinweis geschickt werden: „Sie haben eine gute Chance, an einer zwar behandelbaren, aber nicht heilbaren schweren chronischen Erkrankung zu leiden.“
Roger Staub hat Recht mit seiner Feststellung, dass ein kultureller Wandel nottut, dass HIV leichter kommunizierbar werden muss. Entkriminalisierung und Entstigmatisierung wären ein guter Weg dahin. Klare Ansagen an Renten-, Lebens- und Krankenversicherungen, an Banken und an Arbeitgeber, dass HIV kein Grund ist, HIV-Infizierte auszusondern, sind geboten. Und der Justiz ist klarzumachen, dass sie sich aus einvernehmlicher Sexualität herauszuhalten hat. Solche Maßnahmen könnten dazu führen, dass es leichter wird, zum Telefon zu greifen und, wie schon lange bei Tripper und Syphilis nicht unüblich, zu sagen: Ich muss dir was mitteilen.
Zu begrüßen ist die Grundhaltung des Schweizer nationalen Programms „HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen 2011 – 2017“, nämlich Präventionsmittel dort konzentriert einzusetzen, wo die HIV-Infektion tatsächlich stattfindet, vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben. Aber es ist kein Weg, die Information über die HIV-Infektion eines Sexpartners per SMS oder E-mail zu verbreiten – oder weitergedacht, falls es nicht zum Austausch von Telefonnummern kam, gleich Listen von HIV-Positiven bei Gayromeo ins Internet zu stellen.
(Bernd Aretz)
Quelle:
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Der-Bund-geht-neu-gegen-alle-sexuell-uebertragbaren-Infektionen-vor/story/13944933