Aids-Buddy und Aidshilfe – das war mal eins. Ein ehrenamtlicher Kumpel (englisch: Buddy) unterstützt einen HIV-positiven Menschen, hilft im Alltag, leistet Beistand. Ein wichtiges Angebot in einer Zeit, als Menschen mit HIV gemieden wurden.
Heute hat Aids den Schrecken verloren, dank neuer Therapien führen die meisten Positiven ein fast normales Leben.Stellt sich die Frage: Brauchen wir die Aids-Buddies noch?
Markus Wickert von der Berliner AIDS-Hilfe und Karl Lemmen von der Deutschen AIDS-Hilfe argumentieren das „Für und Wider”.
PRO: Abschaffung wäre Irrwitz
Markus Wickert, Ehrenamtlerkoordinator der Beliner Aids-Hilfe
Die emotionale Begleitung für Menschen mit HIV und Aids muss weitergehen! Sie muss sogar ausgebaut werden. Dieses zentrale Angebot der Aidshilfe abzuschaffen, wäre ein Irrwitz.
Längst hat sich Aidshilfe aus dem Dunstkreis der Hospizarbeit entfernt. Sie ist im Leben verankert und kennt die Bedürfnisse von Menschen mit HIV und Aids. Wenn aber die Deutsche AIDS-Hilfe bis ins Jahr 2010 die Ausbildung von Begleitern/Begleiterinnen noch „Betreuerschulung“ nennt und so schon durch seine Sprache ausdrückt, dass sich Begleiter und „Betreute“ nicht auf Augenhöhe begegnen. Stellt sich die Frage: Was weiß der Dachverband über die wertvolle Arbeit seiner regionalen Aidshilfen in Deutschland?
Denn vor Ort hat sich viel getan: Die Begleitung orientiert sich sehr klar an den Bedürfnissen von Menschen mit HIV und Aids. Oft begleiten wir Menschen, die sich in Krisen hinein- oder aus Krisen herausbewegen. Wir bieten punktuelle Unterstützung, helfen bei situationsbedingten Depressionen und suchen gemeinsam Auswegen aus der Isolation. Und diese Begleitungsangebote sind notwendig. Denn wie alle schweren Erkrankungen kann auch eine HIV-Infektion Krisen auslösen.
Eine HIV-Infektion im Jahre 2010 sieht völlig anders aus und hat mit den Anfängen nichts zu tun. Das stimmt. Wir profitieren von den Erfolgen der modernen Behandlungsmethoden. HIV-Positive nehmen aktiv am „Leben“ teil – im Alltag und im Beruf. Heute heißen die Herausforderungen: gesund leben mit dem Virus, Therapiebegleitung und Unterstützung, Umgang mit Armut und sozialer Not. Die Unterstützung hat sich professionalisiert und verändert. Sie reicht vom Betreuten Einzelwohnen, über verschiedenste Beratungsangebote bis hin zur Einzelfallhilfe.
Aber nicht immer verläuft eine HIV-Infektion nach dem Lehrbuch der Schulmedizin. Nicht jede Behandlung erreicht das Ziel, gut und beschwerdefrei zu leben. Noch immer gibt es Bedarf für eine nicht professionalisierten Begleitung von Menschen, die mit [KURSIV] dem HIV-Virus gesund leben wollen. Waren die Begleitungen früher ausgelegt auf die Unterstützung von schwerstkranken Menschen, die bald verstarben, so leisten wir heute Hilfe zum Leben, zumeist für einen bestimmten Lebensabschnitt.
Voraussetzung für eine gute Begleitung ist ein intensives Zusammenspiel von Klienten, haupt- und ehrenamtlichen Begleitern, von Aidshilfen und anderen Institutionen wie Pflegediensten, Arztpraxen, Gesundheitsämtern und Hospizen. Und genau dieser Austausch findet bereits statt: Zielvereinbarungen, die alle sechs Monate aktualisiert werden, binden alle Beteiligten – Klienten, Ehrenamtliche und Hauptamtliche.
Ja, die meisten HIV-Positiven führen heute ein fast normales Leben und sind nicht auf unsere Versorgungsangebote angewiesen. Aber was ist mit den Menschen in Heimen, Pflegeeirichtungen und Haftanstalten? Was ist mit Menschen, die mit einer Behinderung oder einer weiteren Krankheit leben müssen? Die ihre berechtigten Anliegen nicht formulieren können? Die kaum sichtbar sind oder weit weg von einer unterstützenden Community? Diese Menschen brauchen Begleitung, auch ehrenamtliche. Fällt das Angebot der emotionalen Begleitung weg, verlieren sie eines ihrer wichtigsten Sprachrohre, um ihre Bedürfnisse so zu formulieren, dass sie auch von der Mehrheit wahrgenommen werden.
CONTRA: Geld besser anders verwenden
Karl Lemmen, Referent für Psychosoziales und Qualitätsentwicklung der Deutschen AIDS-Hilfe
Es ist an der Zeit, sich von Angeboten zu verabschieden, die ihren ursprünglichen Sinn verloren haben und an den heutigen Bedürfnissen vorbeigehen. Das gilt auch für Angebote, die einmal ein Herzstück der Aidshilfe-Arbeit waren – so wie die emotionale Begleitung von Menschen mit HIV.
Zur Erinnerung: Mit dem Slogan „Zuwendung statt Ablehnung“ wollten wir in den 80er Jahren auf die Herausforderung durch Aids und die massive Ausgrenzung der Betroffenen reagieren. Aidspatienten wurden nicht selten von ihrer Familie oder dem Freundeskreis gemieden und mussten ihre tödliche Erkrankung isoliert verarbeiten. Für diese Menschen wollten wir damals einen Familienersatz schaffen, der dem Schrecken von Aids standhielt.
Dabei waren wir selbst am wenigsten auf das Thema Sterben vorbereitet! Hospize gab es damals nur in England, bei uns in Deutschland hatten die „Sterbehäuser“ einen schlechten Ruf. Groß war die Abwehr, sich mit dem Sterben zu beschäftigen. Wer mit einer tödlichen Diagnose konfrontiert wurde, sah sich mit einer Umwelt konfrontiert, die dieser Auseinandersetzung ausweichen wollte.
All dies waren Gründe, warum wir damals Betreuung als „emotionale Begleitung von Menschen mit HIV“ verstanden haben. In Anlehnung an das amerikanische Buddy-Konzept sollten die Buddies eine Lücke schließen, die Aids ins Leben der Betroffenen gerissen hatte: Sie boten Kontakt, wo andere aus Angst vor Ansteckung flüchteten. Sie öffneten ihr Ohr für Themen, bei denen andere weghörten. Und sie blieben auch dann bei der Stange, wenn andere angesichts des nahen Todes das Weite suchten.
Buddies wurden damals von den Aidshilfen sorfältig ausgesucht und gründlich auf die Arbeit vorbereitet. Sterbemeditationen waren fester Bestandteil der Ausbildung. Sie gaben den Buddies einen Eindruck davon, welche seelische Dynamik die Konfrontation mit einer tödlichen Diagnose auslösen kann. Regelmäßige Supervision sollte sicherstellen, dass die Betreuung nicht aus dem Ruder lief. Zurückblickend kann man sagen, dass hier großartige Pionierarbeit geleistet wurde. Es ging immer auch darum, ein Zeichen gegen Ausgrenzung zu setzen.
Aber das Buddy-Konzept hat sein Verfallsdatum überschritten. Heute haben wir es mit einer anderen Situation zu tun, die andere Angebote von Aidshilfen erfordert. Aids ist nicht mehr die tödliche Erkrankung, die sie bis Mitte der 90er Jahre war. Die Gesellschaft hat zu einem normaleren Umgang mit den Positiven gefunden. Darüber hinaus sind neue Angebote entstanden, die im Einzelfall auch die Begleitung von sterbenden Aidspatienten übernehmen können, zum Beispiel aus der Hospizbewegung heraus.
Die Aidshilfen brauchen dafür keine Mitarbeiter/innen mehr zu schulen, sondern können ihre Energien in neue Projekte investieren, die dem veränderten Bild von HIV entsprechen – und zum Beispiel die Frage beantworten, wie man Menschen dazu befähigt, das Leben mit und trotz HIV (wieder) in die eigene Hand zu nehmen und für die eigenen Interessen einzutreten.
Ist es nicht an der Zeit, sich als Aidshilfe aus dem Dunstkreis der Hospizbewegung zu entfernen und sich stärker den Verbänden chronisch Kranker anzunähern? Ist es nicht an der Zeit, eine Einrichtung zu werden wie etwa die Rheuma-Liga? Wäre dies nicht der nächste erforderliche Schritt hin zur Normalisierung von HIV?
Sollten wir uns nicht viel stärker von der Betonung der „Todesnähe“ verabschieden, auch wenn diese die Aidshilfen in der Vergangenheit mit großer Bedeutung ausgestattet hat?