Eingeschneit

Der Dienst ist ruhig. Verdächtig ruhig. Draußen schneit es in dicken Flocken. Bis halb zwei habe ich Briefe diktiert und dann habe ich mich in mein Dienstzimmerkabuff zurückgezogen, mich in voller Kleidung aufs Bett gelegt, die Decke hochgezogen und den Piepser neben mich auf den Nachttisch gelegt. Gerade habe ich die erste Tiefschlafphase erreicht, da geht das Ding los.
„Ja?“
Die Zentrale ist dran, Gespräch von draußen.
Den Namen des Anrufers verstehe ich nicht.
„Meine Frau hat Bauchschmerzen,“ berichtet er.
„Okay…“
„Ich habe unseren Hausarzt angerufen… also den Notdienst. Aber der meldet sich nicht. Geht keiner ran. Schon seit einer Stunde nicht. Nur die Mailbox. Und keiner ruft zurück…“
Was soll ich jetzt noch lange diskutieren?
„…ist gut, dann kommen Sie halt zu uns!“ sage ich schnell.
Dafür sind wir schließlich da, unser Lokal ist immer geöffnet, vierundzwanzig Stunden am Tag, egal ob’s stürmt oder schneit!
Der Anrufer ist einverstanden. Er hatte einen Ortsnamen genannt, von dorther bis zu uns braucht man unter normalen Umständen vielleicht eine knappe halbe Stunde, mit etwas Glück kann ich also nochmal die Augen zumachen… ich drehe mich auf die Seite und bin ruckzuck eingeschlafen.
Das übliche Geräusch schreckt mich wieder hoch. Blick auf die Uhr, kurz nach halb fünf.
„Ja?“
„Noch ein Gespräch von draußen.“
Es ist derselbe Anrufer wie vorhin.
„Wo sind Sie?“
„In meiner Garage. Wir kommen nicht raus. Alles voller Schnee.“
Wie wär’s mit einer Runde Schneeschaufeln? Eine vorsichtige Bemerkung in diese Richtung findet aber keinen Anklang.
„Unsere Straße geht steil bergauf. Und da ist auch noch nichts geräumt!“
„„Und jetzt?“
„Was sollen wir tun?“
Okay, also Versuch einer Ferndiagnose: Fieber hat sie nicht, erbrochen auch nicht, Puls scheint normal und die Schmerzen derzeit halbwegs erträglich…
„Haben Sie ein Schmerzmittel daheim?“
„Nur Paracetamol.“
„Geben Sie ihr zwei Tabletten. Und wenn’s schlimmer wird, rufen Sie einen Krankenwagen!“
Ob der bei dem Wetter wohl  durchkommt?
Ist auch egal. Ich schlafe jedenfalls ungestört bis sieben Uhr früh.
Den Dienst habenden Hausarzt beneide ich nicht.

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