In Deutschland hat man jetzt zum ersten Mal Hämophile entschädigt, die durch Gerinnungsmittel mit Hepatitis C infiziert wurden. Die Pharmafirmen Bayer, Baxter, Behring-Aventis und Alpha zahlten den knapp 90 Betroffenen, die nachweislich zwischen 1978 und 1984 mit Viren belastete Medikamente erhalten hatten, jeweils bis zu 10.000 US-Dollar. Unter den Klägern war auch ein HIV-Positiver. Ein Beitrag von Peter Rehberg.
Menschen mit Hämophilie (Bluter) sind auf Gerinnungsmittel angewiesen. Diese Medikamente wurden bis 1990 auf der Basis von Blutkonserven hergestellt. Schon in den 1970er Jahren fiel allerdings auf, dass regelmäßig damit behandelte Patienten häufiger an Virusinfektionen wie Hepatitis C (HCV) leiden. Schon 1976 lagen patentierte Verfahren zur Virusinaktivierung vor, mit denen man hätte sicherstellen können, dass die Gerinnungsmittel nicht länger infiziert sind – sei es mit HCV oder anderen Viren. Spätestens ab 1978 hätten diese Verfahren standardmäßig angewendet werden können. Tatsächlich wurde die Pharmaindustrie erst sechs Jahre später aufgrund der Aids-Krise aktiv: Erst seit 1984 legt sie Wert darauf, dass Blutprodukte keine Viren mehr enthalten.
HCV-Infektionen hätte man verhindern können
Zwischen 1978 und 1984 sind also weltweit Bluter mit HCV- und HIV-infizierten Gerinnungsmitteln behandelt worden, obwohl dies hätte verhindert werden können – so argumentiert eine amerikanische Anwaltskanzlei, die 2003 im Auftrag ausländischer Kläger den Prozess gegen die Pharmafirmen Bayer, Baxter, Behring-Aventis und Alpha einleitete. Sie hatte bereits zuvor gute Entschädigungssummen für amerikanische Patienten erstritten und dann nach möglichen Klägern auch außerhalb der USA gesucht. Dieser nun international ausgeweitete Prozess erschien ihr als ein lukratives Geschäft.
Auch in Deutschland machten sich die Anwälte auf die Suche nach HCV-Patienten, die die Kriterien für eine Entschädigung erfüllten. Das war nicht leicht, denn die Patienten mussten nachweisen, dass sie nicht vor 1978 behandelt worden waren, sondern erst ab dem Zeitpunkt, wo eine Infizierung auch tatsächlich hätte verhindert werden können. Außerdem war erforderlich, dass sie ihre Behandlung detailliert dokumentieren. Auf die Unterstützung der behandelnden Ärzte, die sich selbst hätten fragen müssen, welche Rolle sie in dieser Geschichte spielten, „konnten sie dabei nicht immer zählen“, so Werner Kalnins, Vorsitzender der Deutschen Hämophiliegesellschaft.
16.000 DM inklusive Beerdigungskosten pro HIV-Patient
Diese Gesellschaft unterstützte den Prozess. Schließlich waren HCV-infizierte Hämophile bisher nicht entschädigt worden – anders als HIV-positive Hämophile. Diese hatten in Westdeutschland Ende der 1980er Jahre bei einem außergerichtlichen Vergleich von der Pharmaindustrie Geld erhalten, allerdings „in einem unverschämt geringen Ausmaß“, wie Werner Kalnins sagt.
16.000 D-Mark pro Patient inklusive Beerdigungskosten gab es damals von den Pharmas. Seit Mitte der 1990er werden durch Medikamente infizierte Bluterkranke über die „Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-Infizierte“ zusätzlich vom deutschen Staat unterstützt, weil dieser hier seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen ist. 750 Euro Rente erhalten HIV-positive Hämophile und 1.500 Euro Rente Menschen mit Vollbild Aids. HCV-infizierte Bluter bekommen aber bis heute nichts. Werner Kalnins erachtet dies „als einen großen Medizinskandal“.
Statistisch ist jeder Zehntausendste hämophil. Demnach leben in Deutschland heute etwa 8.000 Bluter. 120 davon schlug die Deutsche Hämophiliegesellschaft den amerikanischen Anwälten vor, knapp 90 wurden von ihnen akzeptiert. Sie erfüllen ihrer Meinung nach die für eine Entschädigung notwendigen Kriterien.
Unter diesen knapp 90 Klägern ist auch ein Patient mit HIV. Dieser hatte Anfang der 80er Jahre nach einem Verkehrsunfall sowohl Blutkonserven als auch Gerinnungsmittel bekommen, denn bei schweren Unfällen kann das Gerinnungssystem zusammenbrechen. Weil sein Fall so komplex war, konnte man nicht mit Sicherheit sagen, auf welchem Weg er infiziert worden war. Deshalb hatte er bei dem außergerichtlichen Vergleich Ende der 1980er keine Entschädigung erhalten. Jetzt soll er nach nicht bestätigten Angaben knapp 30.000 Dollar von den Pharmafirmen bekommen haben.
3.000 HCV-infizierte Bluter können nicht klagen
Das amerikanische Gericht hat die Klage mit dem Hinweis, dass die Kläger aus dem Ausland kommen, zwar gar nicht angenommen. Da die Anwaltskanzlei aber genügend Druck machte und zeigte, dass sie vor hohen Kosten nicht zurückschreckt (50.000.000 $ hatte sie bereits in den Fall investiert), haben sich die Pharmafirmen auf einen außergerichtlichen Vergleich eingelassen und insgesamt mehrere Millionen gezahlt. Bedingung war, dass 95 % der Kläger dem Vergleich zustimmen, was auch der Fall war. Die knapp 90 Patienten in Deutschland (international waren es über 2.000) haben bis Ende 2010 alle ihr Geld erhalten. Teil des gerichtlichen Vergleichs ist, dass sie Stillschweigen über die Bedingungen bewahren müssen. Bayer wollte dazu keine näheren Angaben machen.
Die knapp 3.000 HCV-infizierten Hämophilen in Deutschland, die nicht klagen können, weil sie die Kriterien nicht erfüllen, haben bis heute keinen Anspruch auf Entschädigung – weder von den Pharmafirmen noch vom deutschen Staat. Einen entsprechenden Prozess gegen das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte die Deutsche Hämophiliegesellschaft in den 1990ern verloren.