Der Auftritt der ehemaligen Sportschau-Moderatorin Monica Lierhaus am Samstagabend bei der Verleihung der Goldenen Kamera im ZDF wird in der Presse als „emotionaler Moment“ und als „Rückkehr ins Leben“ gefeiert. In Wirklichkeit war dieser Augenblick aber ambivalenter, als die meisten zugeben wollen. Denn auf der Bühne präsentierte sich eine Frau, die sich entschieden hat, offensiv mit ihrer Krankheit umzugehen. Ein Kommentar von Peter Rehberg
Monica Lierhaus wurde nach Komplikationen während einer Gehirn-OP vor zwei Jahren vier Monate lang ins künstliche Koma versetzt. Danach hat sie acht Monate in einem Reha-Zentrum verbracht. Seit einem Jahr lebt sie wieder zuhause in Hamburg, viereinhalb Stunden trainiert sie jeden Tag: Sprechen, Essen, jede Bewegung – alles muss bei einer Koma-Patienten neu einstudiert werden. Sechs Monate hat sie sich auf ihren Fernseh-Auftritt vorbereitet. „Da bin ich“ sagte sie am Samstagabend zur Begrüßung ins Mikrophon.
Während der Verleihung der Goldenen Kamera im ZDF konnte man der ehemaligen Sportschau-Moderatorin ansehen, was sie durchgemacht hat und noch durchmacht: Erst seit Dezember kann Lierhaus wieder alleine laufen – ihre Schritte sind aber noch kurz und unsicher. Sie musste wieder lernen zu sprechen, und man merkt ihr die Mühe und Konzentration an, die sie das kostet. Sprachvermögen und körperliche Kontrolle soweit wiederzugewinnen, ist für eine Koma-Patientin ein großer Erfolg, den Lierhaus stolz mit den Zuschauern teilen wollte.
Gemischte Gefühle – Zwischen Rührung und Schock
Für das Publikum im Saal aber, das Lierhaus als trendige und tuffe Moderatorin von Sportgroßereignissen kennt – eine Mischung aus Leistungssportlerin und Fan mit mehr Fachwissen als jeder Fifa-Funktionär – war ihr Anblick anscheinend sehr ambivalent. Bei den Reaktionen von Anna Loos, Barbara Schöneberger, Sandra Maischberger und anderen, deren Gesichter die Fernsehkamera während der Show und auf der Party hinterher eingefangen hatte, schien nicht ganz klar: Waren sie so gerührt, weil Monica Lierhaus wieder gehen und sprechen kann – oder hielten sie sich die Hände vors Gesicht und weinten, schockiert darüber, dass ihrer Kollegin das Handicap immer noch so deutlich anzusehen ist?
Dieser Moment erschien umso dramatischer im Rahmen einer Sendung, wo die Sänger, Schauspieler und Moderatoren nicht nur auf der Bühne standen, sondern auch im Publikum saßen, weil sie als Kandidaten für die Preisverleihung eingeladen waren: Jeder an diesem Abend Anwesende wusste, dass es in seinem Job als Performer vor allem auf die Qualitäten ankommt, die Monica Lierhaus durch ihre Erkrankung offensichtlich verloren hat.
Krankheit öffentlich zeigen – Mut oder Zumutung?
Die gemischten Reaktionen legen nahe, dass es bei Lierhaus’ Auftritt für einige also nicht nur um Mut, sondern auch um eine Zumutung ging: Auch wenn es keiner gewagt hätte, so offen auszusprechen, schien diese Frage dennoch im Raum zu stehen: Darf man sich so offensichtlich unter den Folgen einer Operation leidend dem Publikum präsentieren? Nicht alle waren da so wohlwollend und herzlich wie Lierhaus’ Ex-Kollege von den WM-Übertragungen Günther Netzer, der sich nicht nur, sichtlich bewegt, in seiner Laudatio verhaspelte, sondern auch anschließend auf die Frage, was er von Lierhaus’ Auftritt hielt, angemessen aber zurückhaltend gegenüber dem Tagesspiegel sagte: „Wichtig ist doch, dass es ihr selber etwas gegeben hat.“
Kritiker Hellmuth Karasek und Regisseur Dieter Wedel waren da weniger großzügig. „Wir müssen aufpassen, dass nicht alles zur Show verkommt“, meinte Wedel gegenüber der Presse. Zwar bezog sich diese, genauso wie Karaseks, Kritik speziell auf den Heiratsantrag, den Lierhaus am Ende ihrer Rede ihrem Lebensgefährten Rolf Hellgardt auf der Bühne machte. Doch schien sich in diesen Worten gleichzeitig ein Unbehagen Luft zu machen, das den Auftritt der ehemaligen Moderatorin insgesamt meinte.
Denn ob man es hier tatsächlich mit einer vor spielerischem Selbstbewussten strotzenden Success-story zu tun hat, wie in dem Kracher „I will survive“ , den Disco-Diva Gloria Gaynor an diesem Abend mit über 60 so lässig präsentierte, dass auch Friede Springer dezent mitwippen konnte, war angesichts dem fragilen Auftreten von Lierhaus überhaupt nicht ausgemacht. Ob Monica Lierhaus weiter genesen wird, ist aus medizinischer Sicht nicht zu beantworten.
Mediales Gesetz: Erlösung oder Genesung
Innerhalb der Darstellungs-Gesetze des Fernsehens – also einer visuellen öffentlichen Kultur – gibt es vor allem zwei konventionelle Möglichkeiten für den Umgang mit Krankheit: entweder als Leidensgeschichte, die zum tragischen aber erlösenden Tod führt, oder umgekehrt, eine Geschichte, aus der der Kranke als gesunder, strahlender Sieger hervorgeht. Schwieriger wird es, wenn die Kranke zwar als Überlebende zu sehen ist, die tapfer dafür kämpft, wieder ein normales Leben zu führen, aber doch deutlich mit den Folgen der Erkrankung leben muss, wie Lierhaus es am Samstagabend gezeigt hat.
Die Springerpresse, zu der auch die Hörzu gehört, die den Goldene-Kamera-Preis stiftet, machte in ihrer Berichterstattung die Holprigkeiten der Performance nachträglich zur Nebensache und mit ihren Schlagzeilen Lierhaus zu der strahlenden Siegerin, die sie noch nicht wieder ist: „Bewegende Rückkehr von Monica Lierhaus“ titelte die „Bild“ und in der „BZ“ hieß es: „So plante die Sportmoderatorin ihr sensationelles Comeback“. Der Moment des Krankseins jedoch, den Lierhaus dem Fernsehpublikum vor Augen führte, wurde damit quasi übersprungen. Das ist auch eine Frage des Mediums: Print kann im Unterschied zum Fernsehen mit den unbewegten Bildern arbeiten, die Lierhaus’ motorische Unsicherheiten sozusagen unsichtbar werden lassen.
Karaseks und Wedels Reaktionen hingegen gingen genau in die andere Richtung – so könnte man etwas überspitzt behaupten: Lieber nicht hingucken, wenn eine schöne Frau als Kranke auftritt – da wird der Ruf nach Tabuisierung laut. Springer-Presse einerseits und der Blick männlicher Kollegen andererseits neigen auf ihre Art also jeweils dazu, dem auszuweichen, was es mit Lierhaus’ Auftritt tatsächlich zu sehen gab: Eine Frau, die entschlossen ist, mit ihrer Krankheit ein privat und beruflich erfolgreiches Leben zu führen.
Tabu Kranksein – Lieber nicht hingucken
Lierhaus wird anstelle von Frank Elstner neue Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“. Sie wird auf Plakaten und in kürzeren Fernsehspots zu sehen sein. Der Fernsehauftritt am Samstagabend hatte auch die Funktion, die Öffentlichkeit darauf vorzubereiten. Aber ihr Auftritt war noch viel mehr als eine Mutprobe, die für sie eine starke persönliche und auch berufliche Bedeutung hat. Selbst wenn es nicht ihre Absicht war, hat ihr Erscheinen auf der Bühne auch eine politische Bedeutung: Ihre Rolle als ehemalige TV-Moderatorin zu benutzen, und als angeschlagene Frau vor die Kamera zu treten, bedeutet auch das ideologische Skript zu verletzen, nachdem Krankheit reine Privatsache ist. Wie die unterschiedlichen Reaktionen auf ihren Auftritt beweisen, hat sie ein Tabu verletzt: kranke Menschen sollen ihr Kranksein für sich behalten und nicht andere damit belangen, geschweige denn Ansprüche an ein normales Leben stellen, wozu es eben auch gehört sich selbstverständlich zu zeigen.
Monica Lierhaus ist nicht bereit, sich diesem Tabu, das auch über ihren Einzelfall hinaus den gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit prägt, zu fügen. Mit ihrem mutigen Auftritt hat sie der Öffentlichkeit gezeigt, was es heißen kann, mit einer Krankheit zu leben.