Vom Ärzteverzeichnis, Sisyphos und Treibsand

Sie kennen die Legende vom alten Sisyphos (heute auch bei jüngeren Generationen bekannt aus der TV-Reklame für eine Koffein-Brause). Unsere Arbeit in der Adress-Redaktion erinnert gern mal an diese griechische Sagengestalt, deren Los es ist, einen Stein den Berg hinauf zu schieben, der dann kurz vor der Spitze wieder runterrollt – eine Sisyphos-Arbeit eben. Unsere Adressredaktion, die das deutschlandweite, umfassende Verzeichnis der ärztlichen Leistungserbringer pflegt, kommt auch nie ans Ziel. Denn die Arbeit der Adress-Aktualisierung endet schier nie. Ein Aufwand, den jeder, der es nicht selbst mit hohem Anspruch schon gemacht hat, drastisch verkennt. Mich selbst übrigens damals, als ich angefangen habe, eingeschlossen.

Rund 90.000 Adressen und Detailangaben von Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten bedürfen pro Jahr der Aktualisierung. Weit mehr als ein Dutzend Mitarbeiter pflegen die Einträge der niedergelassenen Ärzte, Zahnärzte, Psychologischen Psychotherapeuten sowie der Kliniken und Klinikärzte kontinuierlich. So wollen wir sicherstellen, dass Patienten nicht vor verschlossenen Türen stehen oder am Telefon hören „kein Anschluss unter dieser Nummer“. Doch kaum haben wir ins Verzeichnis eingetragen, dass ein Arzt umgezogen ist, hat sich ein anderer schon wieder zur Ruhe gesetzt. 90.000 Updates – das ist übrigens nur die eine Seite der Medaille. Die übrigen der 220.000 patientengängigen Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten müssen ja auch gecheckt werden. Das können wir aber gar nicht mehr nur intern in der Adressredaktion leisten, sondern da arbeiten wir mit externen Call-Centern zusammen.

Bei dieser Arbeit der Adressredaktion ist es schwer zu zeigen, dass man sie gut macht. Denn eine richtige Arztadresse nimmt jeder als gegeben hin, nur die falschen Adressen fallen auf. Im Rahmen der Qualitätssicherung vergleichen wir in Stichproben unser Verzeichnis mit anderen qualifizierten öffentlichen Quellen. Manch eine Krankenkasse hat auch schon, bevor sie die Arzt-Auskunft lizenziert hat, unsere Adressen mit der amtlichen Liste verglichen. Diese müsste ja eigentlich aktuell sein. Aber das kennen Sie sicher aus eigener Erfahrung beim Umzug: Stromanbieter, Telefon, Versicherung, Arbeitgeber, GEZ, Bankverbindung undundund. Ein Unternehmen vergisst man jedes Mal, über den eigenen Umzug zu informieren. Da funktionieren Mediziner nicht anders als andere Menschen auch.

Kürzlich hat wieder eine Krankenkasse unsere Adressen mit der amtlichen Liste verglichen. Unter die Lupe genommen wurden zur Evaluation speziell die Adressen, die in der Arzt-Auskunft als veraltet und gelöscht gekennzeichnet sind, im amtlichen Verzeichnis dagegen jedoch als „aktiv“ geführt wurden. Das Ergebnis: In 94 Prozent dieser Diskrepanzen waren die Angaben der Arzt-Auskunft aktuell und zutreffend. Die Ärzte waren in der Tat im Ruhestand oder verstorben – auf jeden Fall nicht mehrt tätig. Potzblitz!

Was für eine herrliche Bestätigung für unsere Arbeit! So hätte sich Sisyphos also gefühlt, wenn er mal die Bergspitze erreicht hätte. Oder wenigstens, wie bei der Tour de France, Applaus vom Publikum am Wegesrand bekommen hätte.

Das Ergebnis ist unterdessen kein Zufall, sondern kontinuierliche Arbeit. Statt zu warten, bis ein Arzt sich bei uns meldet, fragen wir nach: Wir schreiben sie alle an. Und kommt kein Rücklauf, fragen wir nach. Mindestens einmal im Jahr.

Gerne würde ich mich mit dem tapferen Team der Adressredaktion einmal auf der Bergspitze ausruhen und die Aussicht genießen. Doch so ein Ärzteverzeichnis hat etwas von Treibsand: Alles fließt. Und wenn man einen Augenblick nicht aufpasst, kommt man von der Bergspitze ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

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