Gleich bin ich an der Reihe, nur noch zwei Personen vor mir in der Schlange. Noch zwei Schritte, und der Pastor steht vor mir, einen Teller mit anthrazitfarbener Asche in der Hand, die von leichten Dämpfen überzogen wird. Und jetzt passiert es: Ich spüre die Hand auf meiner Stirn, die mir mit etwas Druck ein Kreuz aufzeichnet, spüre, wie die noch warme Asche ähnlich wie Schmirgelpapier auf meiner Haut entlang kratzt, und höre den Satz: „Bedenke, Mensch, dass Du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst“. In diesem Augenblick läuft ein leiser Schauer über meinen Rücken, und die Frequenz meines Herzschlags steigt. Heute, wo ich einmal ausnahmsweise an einem Mittwoch zur Messe gegangen bin, habe ich die Predigt besonders aufmerksam verfolgt. Und als die Zeremonie vorbei ist, ich noch nachdenklich durch die dunklen Straßen spaziere, und einige Stunden später die Nacht beginnt, behalte ich ganz bewusst das Aschenkreuz auf der Stirn. Dieses Zeichen gibt mir einmal im Jahr den Anstoß, Dinge im Alltagsleben zu verändern, und mir vor Augen zu halten, welche Werte und Ziele ich in meinem Leben umsetzen will.
Als ich noch zur Schule ging, war es üblich, dass fast jeder am Schulgottesdienst zu Aschermittwoch teilnahm. In vielen von uns kam ein Gefühl des Stolzes hoch, weil es uns auf der Stirn geschrieben stand, dass wir am Aschermittwochsgottesdienst teilgenommen hatten. Doch wie heißt es in der Bergpredigt: „Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden […]“ (Mt: 6,5). Und wenig später geht Jesus auch auf das Fasten ein: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten […]“ (Mt: 6:16).
Gerade das Fasten ist eine ganz persönliche Entscheidung, die freiwillig und aus innerer Überzeugung getroffen werden soll. Dabei beschränken viele Christen das Fasten keineswegs darauf, während der Fastenzeit kein Fleisch zu essen. Diese Zeit ab Aschermittwoch bis zum Samstag vor Ostern, der dieses Jahr auf den 23. April fällt, lädt auch zu weiteren Veränderungen im Alltagsleben ein: Hier kann jeder Fastende für sich selbst überlegen, welche alltäglichen Genussmittel, Konsumgüter und Gewohnheiten ihm oftmals eher Kraft rauben und von wichtigen Zielen ablenken, als dass sie einen persönlichen Gewinn bieten. So hat sich bereits eine beträchtliche Anzahl von Nutzern des sozialen Netzwerks Facebook gefunden, die in der Gruppe: „Facebook fasten“ wenigstens privat vierzig Tage lang auf das rege virtuelle Leben in den Social Media verzichten wollen. Möglich ist auch, dass die Quasselstrippen unter uns, die wohl teils beliebt und teils gefürchtet sind, Abstriche beim Telefonieren in den unterschiedlichsten technischen Varianten machen oder plötzlich verstummen und ihrem Gesprächspartner zuhören. Und bietet die Fastenzeit nicht auch eine perfekte Gelegenheit für so genannte „Messies“, sich einmal im Jahr von unwichtigem Krimskrams zu trennen und gründlich die Wohnung aufzuräumen? Man sieht, dass einer individuellen Gestaltung des Fastens keine Grenzen gesetzt sind. Doch ich verrate nicht, worauf ich ab heute verzichte – denn schließlich will ich es den Neugierigen unter uns allen ein bisschen erleichtern, von ihrem Laster wenigstens bis zum 23. April 2011 Abstand zu nehmen…
Melanie Geiser