Das Prostitutionsgesetz hat die Situation von Sexarbeiterinnen nur in geringem Ausmaß verbessert. Nun wünscht sich der Bundesrat einen Kondomzwang. Das Beispiel Bayern zeigt: Für die HIV-Prävention wäre das ein weiterer Rückschlag. Von Marianne Rademacher
Seit genau 100 Jahren wird am 8. März der Internationale Frauentag begangen. In der bewegten Geschichte dieses Tages haben Frauen auf vielfältige Weise gegen Diskriminierung, Stigmatisierung und Unterdrückung gekämpft und sich für Bürgerrechte, Eigenverantwortung und Liberalisierung eingesetzt.
Frauen, die von HIV besonders bedroht und betroffen sind, haben nach wie vor in besonderer Weise gegen Vorurteile, Diskriminierung und Kriminalisierung zu kämpfen. Zu dieser Gruppe gehören auch Sexarbeiterinnen. Sie sind epidemiologisch betrachtet zwar nur in relativ geringem Maß von HIV betroffen, aufgrund der Fordrungen ihrer Kunden nach ungeschütztem Sex aber besonders von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen bedroht.
Überzogene Auflagen für Betriebe, drastische Steuerforderungen an die Sexarbeiterinnen
Das liberale Prostitutionsgesetz von 2002 hat daran leider nur wenig geändert. Obwohl Prostitution nun ein erlaubtes Gewerbe ist, bleibt es für Sexarbeiterinnen und für Betreiber von Prostitutionsbetrieben schwierig, ihre Arbeit zu legalisieren. Nach einem Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2007 haben sich die Arbeitsbedingungen nur teilweise verbessert, die Begleitkriminalität hat das Gesetz kaum reduzieren können.
Dies liegt in erster Linie an der bundesweit unzulänglichen und uneinheitlichen Umsetzung. So sollen Sexarbeiterinnen ihre Tätigkeit in der einen Kommune anmelden, in einer anderen dürfen sie es nicht. Bordellbetreiber, die ihren bisher geduldeten Betrieb anmelden wollen, werden mit überzogenen Auflagen von Ordnungs- und Gewerbeämtern überhäuft. In anderen Orten fühlen sich diese Ämter gleich gar nicht zuständig.
Die Finanzämter reagieren sehr unterschiedlich, wenn Frauen ihr Gewerbe als selbstständige Tätigkeit anmelden. Für die Besteuerung legen sie oft Verdienstschätzungen zugrunde, die mit den realen Verdienstmöglichkeiten von Sexarbeiterinnen wenig zu tun haben – und fordern oft Zahlungen, die die finanziellen Möglichkeiten der Frauen bei weitem übersteigen.
Für Sexarbeiterinnen und Bordellbetreiber besteht also weiterhin eine große Rechtsunsicherheit. Zugleich werden aufgrund des hohen Konkurrenzdruckes in der Branche zunehmend ungeschützte Sexualpraktiken angefragt und angeboten.
Repression soll’s richten – ist aber kontraproduktiv
Die Deutsche AIDS-Hilfe fordert daher schon seit langem eine Nachbesserung des Prostitutionsgesetzes und dessen einheitliche Umsetzung, auch um eine wirksame und nachhaltige Prävention im Bereich kommerzieller Sexarbeit zu ermöglichen.
In der Politik werden nun aber als Reaktion auf diese Unzulänglichkeiten wieder Forderungen nach stärkerer Kontrolle und Repression laut. Im Juni 2010 legten die Polizeibehörden der Innenministerkonferenz eine Empfehlung zur Wiedereinführung der Untersuchungspflicht für Prostituierte vor.
Das jüngste Beispiel ist eine Entschließung des Bundesrates über „Stärkere Reglementierung des Betriebs von Prostitutionsstätten“ vom 11.02.2011, in der unter anderem eine bundesweite Kondompflicht gefordert wird.
Eine solche Kondompflicht gibt es bisher nur in Bayern, eingeführt wurde sie im Jahr 2001. Mitarbeiterinnen der dortigen Fachberatungsstellen für Sexarbeit schildern die Situation folgendermaßen: Die Kondomverordnung und deren Umsetzung ist kaum zu überprüfen. Am Ende werden die Sexarbeiterinnen zur Verantwortung gezogen, nicht die Freier oder Bordellbetreiber. Die Polizei schickt „Scheinfreier“ in die Szene, die nach ungeschütztem Sex fragen. Lassen sich Frauen darauf ein, werden sie angezeigt und verfolgt.
Selbstverständlich unterstützen die Fachberatungsstellen die Benutzung von Kondomen zum Schutz der Frauen. Doch wirkungsvoller als die Drohung mit der „Kondomverordnung“ wäre eine vernünftige Werbung für Kondome und Safer Sex in den einzelnen Betrieben. Repressionen wirken kontraproduktiv: Aus Angst vor Strafverfolgung ziehen sich die Frauen auch gegenüber den Beraterinnen und Beratern eher zurück. Sie sprechen Probleme mit Freiern, die ungeschützten Sex fordern, nicht mehr offen an.
Prävention muss vor allem die Freier mit einbeziehen!
Diese Entwicklung gilt es auf Bundesebene zu verhindern. Die Erfolge der HIV/Aids-Prävention in Deutschland sind im europäischen Vergleich spitze. Das liegt daran, dass die Prävention hierzulande eben nicht auf Kriminalisierung setzt, sondern auf die Befähigung zum eigenverantwortlichen Handeln. Gefördert wird sie durch Information, Motivation, Hilfe zur Kompetenzentwicklung und Solidarität mit HIV-infizierten Menschen. Nur unter diesen Bedingungen kann sich hilfreiche Kommunikation zum Thema entfalten.
Was also ist zu tun? Die DAH fordert mehr niedrigschwellige Angebote, die auf Freiwilligkeit und Akzeptanz des Lebensstils der Frauen beruhen. Prävention muss aber vor allem verstärkt die Freier in den Fokus nehmen: Sie sind es, die nach ungeschütztem Sex verlangen! Wer die Verantwortung allein den Frauen und den Betreibern zuschiebt, verfehlt den Kern des Problems. Im entscheidenden Moment sind zwei Menschen miteinander allein: die Sexarbeiterin und der Freier.
Marianne Rademacher ist Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe.