Wenn eine Infektion oder Entzündung ansteht, dann greifen auch die medizinischen Spezialisten oft und schnell zu den „bewährten“ Antibiotika, selbst wenn sie sonst theoretisierend Resistenzentwicklungen wittern. Bei Kindern sieht die Sache dann noch einmal ganz anders aus, da aus medizinischer Sicht Kinder nicht als kleine Erwachsene angesehen werden können. Vieles läuft in einem heranwachsenden Organismus anders als in einem ausgereiften.
Bei Mittelohrentzündung, einer recht häufigen Erkrankung bei Kindern und Kleinkindern, stellt sich nun die Frage, ob man auf die Selbstheilkräfte des jungen Organismus hoffen kann oder ob man nicht doch zu Antibiotika greifen soll.
Es gibt dazu alte und neuere Studien, die zeigen konnten, dass eine Antibiotika Gabe die Otitis media in Schwere und Dauer günstig beeinflussen kann. Die (vor)letzte dieser Studien kommt aus der Universität Pittsburgh und erschien im New England Journal of Medicine (Link zur Studie). Eine „ofenwarme“ Studie aus Finnland, die am gleichen Tag im NEJM erschien, bestätigte die Ergebnisse aus Pittsburgh (Link zur Studie). Beide Studien untersuchten ca. 300 und mehr Kleinkinder im Alter von 6 bis 23 bzw. 35 Monaten.
Das Antibiotikum, das zum Einsatz kam, war eine Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure, einem ?-Lactamase Hemmer. Dieser Hemmer soll sicher stellen, dass resistente Bakterien, die in der Lage sind, ?-Lactamase zu produzieren, eliminiert werden. ?-Lactamase ist ein von resistenten Bakterien produziertes Enzym, das das Antibiotikum abbauen kann und somit in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt. Clavulansäure wird immer in Verbindung mit Antibiotika gegeben, nie als Monotherapie, da es selbst keine antibiotische Wirkung besitzt.
Sowohl die Pittsburgh- als auch die Finnland-Studie zeigten deutliche therapeutische Vorteile der Amoxicillin- Clavulansäure-Kombination gegenüber Plazebo, so dass man zu dem Schluss kam, dass ein Einsatz bei Otitis media bei Kleinkindern gerechtfertigt zu sein scheint. Beide Studien machten aber auch deutlich, dass das Nebenwirkungsspektrum deutlich höher ist unter der Antibiotika-Therapie im Vergleich zu Plazebo.
Die Finnen gingen in dieser Beziehung sogar noch differenzierter vor in der Interpretation ihrer Ergebnisse, da sie die besondere Problematik der Nebenwirkungen bei diesem Patientenklientel berücksichtigten. Sie hielten dies bezüglich als Ergebnis fest:
„Children with acute otitis media benefit from antimicrobial treatment as compared with placebo, although they have more side effects. Future studies should identify patients who may derive the greatest benefit, in order to minimize unnecessary antimicrobial treatment and the development of bacterial resistance.“
Dies ist umso bemerkenswerter, als hier keine pauschalen Empfehlungen für einen „flächendeckenden“ Einsatz von Antibiotika gegeben werden aufgrund der gefundenen Ergebnisse. Die finnischen Forscher empfehlen stattdessen ein selektives Vorgehen, wobei nur die Kinder das Antibiotikum erhalten sollen, die den größten Nutzen aus dessen Einsatz haben. Die Notwendigkeit dieser Abwägung ist in den sich einstellenden Nebenwirkungen begründet, die in beiden Studien hauptsächlich in Durchfällen bestanden. Jedoch die Diagnose Durchfall bei einem Kleinkind ist nicht mit einem Durchfall bei einem Erwachsenen zu vergleichen. Hier sind Folgekomplikationen wahrscheinlicher, besonders in Form von Dehydrierung, was dann zu einem eigenständigen, neuen Krankheitsbild führt.
Da Otitis media nach Erkältungskrankheiten die zweithäufigste Erkrankung bei Kindern ist, besteht die Befürchtung, dass eine unbehandelte Mittelohrentzündung Folgeschäden hinterlassen kann. Besonders wenn der Krankheitsverlauf an Schwere zunimmt, sind diese Befürchtungen nicht grundlos. Die Entzündung kann sich dann auf die Gehörknöchelchen und das gesamte Innenohr ausbreiten und nachhaltigen Schaden anrichten. Diese Szenarien allerdings sind eher die Ausnahme.
So zeigt die Praxis, dass auch ohne Antibiotika die Schmerzen bei zwei von drei Kindern innerhalb von 24 Stunden abklingen. Britische Ärzte z.B. stellten fest, dass Kinder ohne Antibiotika Gabe einen Tag länger an Schmerzen litten, die sich aber durch die Gabe von Schmerzmitteln effektiv eindämmen ließen.
Fazit: Antibiotika sind Mittel der Wahl, wenn, wie die finnische Studie es befürwortet, eine Situation vorliegt, wo ein Einsatz mehr Nutzen bringt als möglichen Schaden durch Nebenwirkungen. Eine solche Situation wäre z.B. ein schwerer Krankheitsverlauf mit großen Schmerzen, die auch mit Schmerzmitteln nicht zu beeinflussen sind. Ansonsten scheint „Abwarten“ mit Schmerztherapie die bessere Alternative zu sein, nicht zuletzt weil sonst die Nebenwirkungen der Antibiotika für eine Verlängerung der Erkrankung durch ein neues Krankheitsbild sorgen.