„Die bringen mich zur Verzweiflung!”

Werner Bock

Werner Bock (Foto: Steffen Taubert)

Aids-Phobiker und -Hypochonder machen Beraterinnen und Beratern das Leben schwer. Werner Bock, Koordinator der gemeinsamen Telefonberatung der Aidshilfen, berichtet von den Erfahrungen im Umgang mit diesen Anrufern und stellt ein neues Schulungsangebot der Deutschen AIDS-Hilfe zum Thema vor.

Jeder Telefonberater kennt solche Anrufe: Kaum hat er den Hörer abgenommen, kommt wie aus der Pistole geschossen eine schier endlose Liste von Symptomen: geschwollene Lymphknoten, Schlafstörungen, Nachtschweiß, Hautausschläge an verschiedenen Stellen, erhöhte Temperatur, rote Punkte auf der Brust, Muskel- und Gelenkschmerzen usw. Selbst ein erfahrener Berater kommt kaum zu Wort. Man kann spüren, unter welch enormem Druck die Anrufer stehen. Gleichzeitig ist es kaum möglich, einen wirklichen Kontakt zu ihnen zu bekommen. Die Rede ist von sogenannten Aids-Phobikern und Aids-Hypochondern.

Mit rationalen Argumenten so gut wie nicht zu erreichen

Sie sind eine besondere Herausforderung, da sie – anders als die meisten Anrufer – mit rationalen Argumenten so gut wie nicht zu erreichen sind. Aids-Phobiker haben  panische Angst, sich mit HIV zu infizieren, auch in Situationen, in denen ein Infektionsrisiko so gut wie ausgeschlossen ist. Immer wieder konstruieren sie neue Szenarien, in denen vielleicht doch eine Übertragung möglich sein könnte. Sie lassen sich nur schwer und meist nicht dauerhaft beruhigen. Aids-Hypochonder gehen noch einen Schritt weiter: Sie sind felsenfest überzeugt, dass sie das Virus bereits haben. Davon lassen sie sich auch nicht durch wiederholte negative HIV-Tests abbringen.

„Bei Beratern lösen solche Anrufer unterschiedlichste Gefühle aus“, weiß Iris Hufnagel, Leiterin der Telefonberatergruppe bei der AIDS-Hilfe Frankfurt, zu berichten. „Die Palette reicht von Ungeduld über Genervtsein bis hin zu Wut und Aggression. Es gibt Ehrenamtler, die sind wieder aus der Beratung ausgeschieden, weil sie sich von solchen Anrufern überfordert fühlen. Andere fühlen sich schuldig, weil sie nicht wirklich helfen können“. Ein neues Schulungsangebot der Deutschen AIDS-Hilfe will hier Abhilfe schaffen.

Die eingebildete Krankheit schafft einen Schutzraum vor anderen Konflikten

In der eintägigen Schulung geht es darum, das Wesen der Hypochondrie und die  Psychodynamik bei Aids-Hypochondern zu verstehen. Mit der „eingebildeten Krankheit“ schaffen sie sich einen Entlastungsraum, der sie vor anderen Konflikten und Anforderungen schützt, denn als Kranke dürfen sie mit Schonung rechnen. Gegen alle guten Argumente und sämtliche Beruhigungsversuche klammern sie sich deshalb an „ihr Virus“. Zugleich aber haben sie extreme Angst vor ihm und wünschen sich nichts mehr, als dass ihre Beschwerden keine körperliche Ursache haben.

Berater geraten dadurch in ein Dilemma, denn eigentlich können sie bei Aids-Hypochondern nie „das Richtige“ tun. Diese schaffen es, auch erfahrene Berater zu verunsichern und sie mit ihren Ängsten und Zweifeln „anzustecken“. Zurück bleiben Hilflosigkeit, Ohnmacht und Frustration. „Wir müssen Beraterinnen und Beratern vermitteln, dass die Hypochondrie eine schwere seelische Störung ist, die sich in einem Telefongespräch nicht beeinflussen lässt. Allein dieses Wissen kann sie schon entlasten“, erklärt Karl Lemmen, DAH-Referent für Psychosoziales und Qualitätssicherung.

„Wir können ihnen lediglich zuhören und hoffen, dass sie dadurch etwas Erleichterung erfahren“

Zugleich gibt man den Schulungsteilnehmern Strategien mit auf den Weg, die den Umgang mit Aids-Hypochondern erleichtern. „Klare, knappe Infos geben und es dabei belassen“, lautet eine von ihnen. „Diese Anrufer kann man nicht überzeugen, dass sie nicht krank sind und ihre Aids-Angst daher unbegründet ist. Wir können ihnen lediglich zuhören und hoffen, dass sie dadurch etwas Erleichterung erfahren“, sagt Karl Lemmen, der die Schulung konzipiert hat. „Berater können allenfalls kleine Anstöße geben, indem sie das Gespräch weg von den Symptomen und hin zu den Ängsten des Anrufers lenken. Hilfreich kann auch ein vorsichtiger Hinweis auf die Möglichkeit einer Psychotherapie sein.“

Solche Strategien sind zwar hilfreich. Aber auch wenn man sie anwendet, bleibt das Gespräch mit Aids-Hypochondern anstrengend. Für Telefonberaterinnen und -berater ist es daher wichtig, Grenzen zu setzen, indem sie z. B. das Gespräch zeitlich befristen – und sich immer wieder bewusst zu machen, dass sie manchmal einfach nicht helfen können.

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