Dossier HIV & Arbeit 2 | Fakten zum Arbeiten mit HIV

Handschlag

Hand in Hand: Menschen mit HIV und ihre Kollegen und Vorgesetzten (Foto: Konstantin Gastmann / pixelio.de)

Sind HIV-Positive häufiger krankgeschrieben? Empfinden Sie ihre Infektion bei der Arbeit als Beeinträchtigung? Wie viele gehen offen damit um, und wie reagieren die Kollegen? Antworten auf solche Fragen gibt die britische Studie „Working with HIV“. Sie dürfte in weiten Teilen auch auf Deutschland zutreffen. Christian Kranich und Holger Sweers haben die Ergebnisse zusammengefasst

Nach der Schweizer Studie „Aids, Recht und Geld“ aus dem Jahr 2003 war „Working with HIV“, durchgeführt 2009 vom National Aids Trust (NAT), die zweite große Untersuchung zu HIV und Beschäftigung im europäischen Raum. Für Deutschland selbst gibt es leider keine vergleichbar detaillierten Daten, der Blick in die Nachbarländer lohnt sich also.

Bei der NAT-Studie gaben 8369 schwule und bisexuelle Männer Auskunft über ihre Situation am Arbeitsplatz, 1830 von ihnen waren HIV-positiv. Die Forscher hatten also die Möglichkeit, die Erfahrungen der HIV-Positiven mit den Angaben HIV-Negativer zu vergleichen. Die Befragung fand anonym über einen Online-Fragebogen statt.

Vielfältige Arbeitsfelder und hohe Arbeitszufriedenheit
Die Teilnehmer der englischen Studie arbeiten in vielen verschiedenen Arbeitsfeldern. Angeführt wird die Hitliste von der Pflege (10 %) und dem medizinischen Sektor (9 %). Die Arbeitssituation war bei der Mehrzahl der Befragten stabil (die meisten hatten in den letzten fünf Jahren vor der Befragung nur einen oder zwei Arbeitgeber), die Arbeitszufriedenheit hoch – hier gab es keine Unterschiede zur HIV-negativen Vergleichsgruppe.

Bei mehr als der Hälfte hat HIV aktuell keinen Einfluss auf das Arbeitsleben
58 % der positiven schwulen Männer gaben an, dass HIV aktuell keinen Einfluss auf ihre Situation am Arbeitsplatz hat. Wo HIV einen Einfluss hatte, wurde dieser vor allem mit starker Müdigkeit (20 %) und Stress (13 %) beschrieben. Einer von zehn Befragten gab an, durch Nebenwirkungen der Anti-HIV-Medikamente beeinträchtigt zu sein.

Für jeden dritten HIV-positiven Studienteilnehmer war die HIV-Diagnose ein belastendes Ereignis, das auch zu Fehlzeiten am Arbeitsplatz führte. Ähnliches gilt für den Beginn oder den Wechsel einer HIV-Therapie, weil sich der Körper erst an die Medikamente gewöhnen muss.

Wie sieht es mit Arztbesuchen aus? Etwa ein Drittel der HIV-positiven Befragten gab an, im Jahr vor der Befragung keine freien Tage genommen zu haben, um zum HIV-Spezialisten zu gehen, ein weiteres Drittel hatte einen bis drei Tage freigenommen. Nur ein kleiner Teil (5 %) hatte von dem besonderen Anspruch auf freie Tage („disability leave“) Gebrauch gemacht – die Studie empfiehlt, Menschen mit HIV und die Arbeitgeber besser über die (in England gesetzlich geregelten) besonderen Rechte von chronisch kranken Mitarbeitern aufzuklären.

Weniger als 10 % fühlen sich krank
Nur 10 % der HIV-positiven Befragten schätzten ihre geistige oder körperliche Gesundheit als schlecht ein, etwa 70 % dagegen als „gut bis sehr gut“ (diese Anteile waren bei HIV-negativen Männern mit rund 80 % allerdings deutlich höher).

Was die jährlichen Krankheitstage angeht, so gab es keine auffälligen Unterschiede zwischen den HIV-positiven Befragten (8 Tage) und den HIV-negativen schwulen Männern (7 Tage).

70 % der HIV-positiven Arbeitnehmer hatten im Jahr vor der Befragung nicht wegen HIV-bedingter Krankheiten gefehlt. Jeweils etwa ein Fünftel der Befragten gab an, wegen der HIV-Infektion die Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden oder den Arbeitsbeginn/das Arbeitsende verändert zu haben, 16 % hatten den Arbeitgeber gewechselt.

Als belastend wurden vor allem Einschränkungen bei Dienstreisen aufgrund diskriminierender Einreisebestimmungen genannt, rund ein Viertel sah sich durch HIV an einem Wechsel des Arbeitsplatzes gehindert (zum Beispiel aus Angst vor einer Einstellungsuntersuchung).

Fast zwei Drittel haben sich am Arbeitsplatz geoutet
62 % der Befragten haben sich gegenüber Kollegen, Vorgesetzten, Kunden oder Klienten als HIV-positiv geoutet (verglichen mit 92 %, die ihre sexuelle Orientierung offengelegt haben). Informiert wurden vor allem die Kollegen (40 %) und Vorgesetzten (40 %).

Bei über zwei Dritteln der positiven Männer war die Reaktion auf das positive Coming-out im Großen und Ganzen positiv. Weniger als jeder Zehnte berichtete von schlechten und nachteiligen Reaktionen.

Am Arbeitsplatz geoutet waren tendenziell eher solche Befragte, die im öffentlichen Sektor oder in Non-Profit-Organisationen tätig waren, die bereits eine HIV-Therapie machten oder bei denen sich die Infektion körperlich bemerkbar machte.

Motiv Arbeitswelt WAT 2010

Motiv aus der Welt-Aids-Tags-Kampage 2010 (Quelle: www.welt-aids-tag.de)

Gründe für das Nicht-Outing
Die meisten Ungeouteten (65 %) gaben an, „einfach keinen Grund“ für ein Outing zu sehen. Zugleich nannten aber auch 53 % die (offenbar begründete) Sorge, dass ein Outing im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens zu Nachteilen führen könne (Mehrfachantworten waren möglich). Fast drei Viertel aller Studienteilnehmer, die im Bewerbungsverfahren nach HIV gefragt worden waren, fühlten sich dadurch belästigt – und von denjenigen, die ihren positiven HIV-Status kannten, legten etwa 38 % ihn nicht offen. Die Autoren der Studie empfehlen denn auch ein Verbot, in Einstellungsuntersuchungen Fragen zu stellen, die für die zu vergebende Stelle keine direkte Relevanz haben.

Schutz vor Diskriminierung
Vor Diskriminierung schützt in Großbritannien der Disability Discrimination Act (DDA) – im Gegensatz zum deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) explizit auch vor Diskriminierung aufgrund von HIV und Aids.

Ein Drittel der Befragten war sich des besonderen Schutzes aufgrund ihrer HIV-Infektion allerdings gar nicht bewusst, und von den übrigen Befragten wusste wiederum ein Drittel nicht, dass der DDA auch ein Recht auf „angemessene Anpassungen“ am Arbeitsplatz umfasst. Die Autoren der Studie machen darauf aufmerksam, dass es hier dringenden Informationsbedarf gebe.

Unterstützende Maßnahmen
Ungefähr ein Drittel der Befragten, die sich ihrer besonderen Rechte im Rahmen des Disability Discrimination Act bewusst waren, hatten auf dieser Basis Anpassungsmaßnahmen am Arbeitsplatz beantragt; jeder zehnte Antrag wurde allerdings abgelehnt. Besonders gefragt waren: Freistellungen für Arztbesuche (67 %), Veränderungen der Wochenarbeitszeit (52 %) und eine Veränderung des Arbeitsbeginns beziehungsweise Arbeitsendes (50 %).

Diskriminierung am Arbeitsplatz ist immer noch ein Thema
Jeder fünfte am Arbeitsplatz als HIV-positiv geoutete Befragte gab an, schon einmal wegen HIV diskriminiert worden zu sein (21 %; 7 % im Rahmen des derzeitigen und 14 % im Rahmen eines früheren Arbeitsverhältnisses). Weitere 8 % waren sich nicht sicher, ob eine schlechte Behandlung möglicherweise in ihrer HIV-Infektion begründet lag. 7 % der HIV-positiven Befragten hatten im Rahmen ihres derzeitigen Jobs Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erlebt.

Diskriminierung hat viele Gesichter: Die Betroffenen berichteten am häufigsten von Ausgrenzung (49 % im derzeitigen und 50 % in einem früheren Job) und dem Bruch der Schweigepflicht in Bezug auf ihre HIV-Infektion (42/52%). Ein nicht unerheblicher Teil der Geouteten, die Diskriminierung erleben oder erlebt hatten, berichtete von Mobbing (26 % im aktuellen Job, etwa ein Drittel im einem früheren Job), und 19 % gaben an, aufgrund ihrer HIV-Infektion nicht befördert zu werden. 40 % der am Arbeitsplatz Geouteten mit Diskriminierungserfahrungen glauben, dass sie deswegen ihren Job verloren haben.

Insgesamt berichteten Menschen, denen man ihre Erkrankung nach eigener Einschätzung ansehen kann, eher von Diskriminierung als andere – ansonsten gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Geouteten mit und ohne Diskriminierungserfahrungen.

Beschwerden gegen Diskriminierung
Beschwert über HIV-bezogene Diskriminierung hat sich etwa ein Drittel der Betroffenen. Nur 22 % der Probleme waren zur Zufriedenheit der Betroffenen gelöst worden, 27 % dagegen nur teilweise befriedigend und 30 % überhaupt nicht. 21 % der Beschwerden liefen zum Zeitpunkt der Befragung noch. Die Autoren der Studie fordern, Barrieren abzubauen, die Diskriminierungsopfer von solchen Beschwerden abhalten, und Menschen mit HIV bei Beschwerden gegen diskriminierende Behandlung zu unterstützen.

Christian Kranich ist Fachmann für das Thema „HIV am Arbeitsplatz” in der Münchner Aids-Hilfe e.V., Holger Sweers Referent für Aufklärung und Information bei der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.

Quelle

National AIDS Trust (Hg.): Working with HIV. A summary of NAT’s employment research. London: NAT 2009

Weitere Informationen

Pärli, K./Müller Kucera, K./Spycher, S.: Aids, Recht und Geld. Eine Untersuchung der rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme von Menschen mit HIV/Aids. Zürich: Verlag Rüegger 2003 (leider vergriffen)

Übersicht Dossier “HIV & Arbeit”
Teil 1 | Packen wir’s an
Teil 2 | Fakten zum Arbeiten mit HIV
Teil 3 | Karriere mit HIV
Teil 4 | Vorbildliches Job-Center
Teil 5 | Die Kräfte bündeln und gemeinsame Interessen durchsetzen
Teil 6 | Schutz von Menschen mit HIV ins Gesetz!

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